Warum der deutsche Kohleausstieg so kompliziert und teuer ist: Neue Dokumente zeigen Befürchtungen der Bundesregierung vor Energiecharta-Klagen

Berlin, 4 November. Der Energiecharta-Vertrag hat den deutschen Kohleausstieg erschwert und verteuert. Zu diesem Ergebnis kommt ein Briefing, das PowerShift heute gemeinsam mit acht weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen herausgibt und das auf neu veröffentlichten Dokumenten aus dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) beruht. Damit die neue Bundesregierung nicht an der Umsetzung ambitionierter Klimaziele gehindert wird, fordern die Organisationen den Austritt Deutschlands aus dem Energiecharta-Vertrag.

In einer internen E-Mail, die den Organisationen über eine Informationsfreiheitsanfrage vorliegt, hat das Bundeswirtschaftsministerium bereits am 31. Oktober 2019 vor dem Bundeskanzleramt eingeräumt, dass es bei einem ordnungsrechtlichen Kohleausstieg Klagen unter dem Energiecharta-Vertrag erwartet. Vor den „zeit- und kostenintensiven“ Schiedsverfahren warnte das BMWi in dem Schreiben ausdrücklich.

Auch deshalb verhandelte die Bundesregierung einen Vertrag mit den Braunkohleunternehmen, der diesen äußerst hohe Entschädigungen und besonders vorteilhafte Bedingungen beim Kohleausstieg einräumt. So wurden die Risiken und Unwägbarkeiten des Braunkohleausstiegs einseitig zu Lasten der Öffentlichkeit geregelt. Gleichzeitig erhalten die Braunkohlebetreiber RWE und LEAG Entschädigungen in Höhe von 4,35 Milliarden Euro, was unabhängige Expert*innen als unangemessen hoch einschätzen. Aufgrund von Zweifeln an der Vereinbarkeit mit dem EU-Beihilfenrecht hat die EU-Kommission ein Prüfverfahren eingeleitet. Inzwischen hat die Bundesregierung eingestanden, dass der Verzicht der Braunkohlebetreiber auf Klagen unter dem Energiecharta-Vertrag die Entschädigungen in die Höhe getrieben hat.

Fabian Flues, Handelsexperte bei PowerShift, sagte: „Der Energiecharta-Vertrag hat dem deutschen Kohleausstieg hohe Hürden gesetzt. Er hat entscheidend dazu beigetragen, dass die Braunkohlekonzerne unverhältnismäßig hohe Entschädigungen und äußerst vorteilhafte Bedingungen für den Kohleausstieg erhalten haben. Letztendlich sind das Klima und die öffentlichen Haushalte die Leidtragenden.“

In einem diese Woche versandten Brief an das Bundeswirtschaftsministerium und die Koalitionsverhandler*innen forderten Organisationen aus der Zivilgesellschaft einen schnellen Ausstieg aus dem Energiecharta-Vertrag. Unterstützt wird diese Forderung auch von über einer Million Menschen, die eine Petition zum Energiecharta-Ausstieg unterschrieben haben.

Francesca Mascha Klein, Juristin bei ClientEarth sagte: „Wie der Kohleausstieg wird auch der Rückzug aus Öl und Gas durch den Energiecharta-Vertrag massiv behindert. Die neue Bundesregierung muss unverzüglich einen Ausstieg aus dem Energiecharta-Vertrag einleiten. Der Vertrag darf wichtigen Schritten zur Bekämpfung der Klimakrise nicht weiter im Weg stehen.“

Ein häufig genanntes Argument für ein Verbleiben im Energiecharta-Vertrag ist die Verfallsklausel, die Klagen auch noch zwanzig Jahre nach einem Ausstieg erlaubt. Internationale Rechtsexpert*innen haben vor kurzem aufgezeigt, wie diese entschärft werden kann.

Das Briefing wird herausgegeben von PowerShift, attac Deutschland, ClientEarth, Europe beyond Coal, Forum Umwelt und Entwicklung, NaturFreunde Deutschlands, Netzwerk Gerechter Welthandel, Umweltinstitut München und Urgewald.

Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an

Fabian Flues, Referent für Handels- und Investitionspolitik bei PowerShift e.V.

fabian.flues@power-shift.de, +49 (0)159 0611 3733

Francesca Mascha Klein, Juristin bei ClientEarth

FKlein@clientearth.org

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