Klimapolitik

Deutschlands Gas-Hunger und seine Auswirkungen: Internationale Aktivist*innen berichten

Gruppenfoto Internationale Aktivist*innen

Aktivist*innen aus den USA und aus Deutschland bei einem Treffen in Berlin. Ihr gemeinsames Ziel ist es, einen Gasausstieg zu forcieren und Flüssiggas-Infrastruktur zu verhindern.

Deutschland will nach dem Ende russischer Gas-Lieferungen seinen Bedarf vor allem durch Flüssiggas (LNG) ersetzen. Doch dessen Förderung und Transport haben gravierende Auswirkungen auf Menschen, Klima und Umwelt. In Deutschland sind diese bislang wenig bekannt. Bei mehreren Treffen berichteten Aktivist*innen aus Texas, Senegal und Mosambik, welche Folgen der deutsche und europäische Hunger nach Gas für sie hat.

„Seit in der Provinz Cabo Delgado Erdgas entdeckt wurde, ist die Region in eine Katastrophe geschlittert“, sagt der mosambikanische Soziologe João Feijó, zu Gast bei einer Konferenz des Koordinierungskreises Mosambik in Bielefeld. Die politische Ökonomie Mosambiks ist noch immer stark vom Kolonialismus gezeichnet und von großer Ungleichheit innerhalb des Landes geprägt. Im armen Nordosten des Landes haben mehrere große extraktivistische Projekte zahlreiche Menschen vertrieben und ihre traditionellen Einnahmequellen zerstört. Von den wenigen neuen Jobs profitieren sie nicht. Das hat zu hoher Frustration in der Bevölkerung geführt und seit Jahren schwelende Konflikte in der Region angeheizt, die 2020 in einen Bürgerkrieg mündeten. „Die Erdgasfunde waren nicht der Auslöser für die Unruhen. Die hohen Erwartungen, die diese als reine Exportprojekte geplanten Vorhaben geschürt haben, und die nachfolgende Frustration und Enttäuschung, als Wohlstand und Arbeit ausblieben, haben den Konflikt aber wesentlich angetrieben“, so Feijó. Während die Zentralregierung in der Hauptstadt Maputo nach wie vor davon überzeugt ist, dass die Gasförderung Wohlstand nach Mosambik bringen würde, plädiert er dafür, sich auf eine nachhaltige Entwicklung in der Region zu konzentrieren, die an der sozioökonomischen Lage der Menschen und den vorhandenen Wirtschaftsstrukturen ansetzt. Die LNG-Produktion für europäische und asiatische Märkte werde ein „Alien“ bleiben, das den Menschen vor Ort keine Vorteile biete. Nicht zuletzt treibt der Gasexport die Klimakrise an. Mosambik gehört zu den fünf Staaten weltweit, die am meisten gefährdet sind – durch immer häufigere Dürren, Überschwemmungen und Wirbelstürme, wie 2019 der Zyklon Idai, der schwere Verwüstungen anrichtete, die bis heute nicht behoben sind.

„Sacrificed Zones“ in Texas

In Texas leiden einige Gemeinden schon seit vielen Jahren unter den schrecklichen Folgen einer intensiven Öl- und Gasindustrie, wie vier Aktivistinnen auf einer Abendveranstaltung von Andy Gheorghiu, PowerShift und dem MovementHub in Berlin berichteten. Chloe Torres, Melanie Oldham, Rebekah Hinojosa und Elida Castillo stammen aus verschiedenen Küstenstädten am Golf von Mexiko, in deren Nähe Flüssiggasterminals (LNG-Terminals) entweder bereits existieren oder neu gebaut werden, oft zusätzlich zu bereits bestehenden petrochemischen Anlagen. In diesen Terminals wird Fracking-Gas verflüssigt, um es unter anderem nach Deutschland zu verschiffen – die USA sind aktuell Deutschlands größter LNG-Lieferant. Dazu kommt das texanische Verbot, Fracking zu verbieten, verbunden mit den sehr laschen Regulierungen dieser Technologie. Das hat dazu geführt, dass die Aktivistinnen, ihre Nachbarn und Familien, mit Fracking in ihrer direkten Nachbarschaft konfrontiert sind, ohne offizielle Informationen darüber zu bekommen, welchen Gefahren sie durch die eingesetzten Chemikalien und die Bohrungen ausgesetzt waren. Flaring, das Abfackeln nicht genutzten Erdgases, verursacht zusätzlich starke Luftverschmutzung. Die Folgen sind gravierend: „Unsere Heimat ist eine „sacrifice zone“, sagen die Aktivistinnen, also ein Gebiet, das der fossilen Industrie „geopfert“ wurde, um die Profite der Konzerne sicherzustellen. Sie gehören zum „cancer belt“, einer Gegend, in der sehr viel mehr Menschen als im US-amerikanischen Durchschnitt an Krebs erkranken, was auf die Emissionen der petrochemischen Industrie zurückgeführt wird. Auch Atemwegserkrankungen, Herz- und Kreislaufbeschwerden sowie Hautkrankheiten sind weit verbreitet.
Weil von diesen schwerwiegenden Folgen der fossilen Industrien vor allem arme, Schwarze, LatinX oder indigene Gemeinden betroffen sind, die zudem weit weniger häufig von den Gewinnen aus diesen Industrien profitieren, sprechen die Aktivistinnen von Umweltrassismus. Die wenigen Arbeitsplätze, die Menschen aus den umliegenden Gemeinden in den Anlagen ergattern können, sind gefährlich und schlecht bezahlt. Andere Einnahmequellen, wie Fischerei und Tourismus an der eigentlich sehr malerischen und artenreichen Golfküste, werden durch die Umweltzerstörung zurückgedrängt. Hinzu kommt die wachsende Bedrohung durch den Klimawandel, der die Anzahl und Wucht von Hurricanes in der Region verstärkt und den Meeresspiegel ansteigen lässt.

Deutsche Banken und Unternehmen mischen mit

Deutsche Investitionen sind für diese Verheerungen direkt mit verantwortlich. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH), Urgewald und Andy Gheorghiu Consulting haben recherchiert, dass deutsche Banken und Unternehmen in den letzten zehn Jahren über 4,5 Milliarden Euro für LNG-Infrastrukturprojekte an Standorten in den USA bereitgestellt haben. Einige Anlagen sind bereits in Betrieb, andere noch im Bau. Zu den Geldgebern gehören die Deutsche Bank, Bayern LB, Helaba, LBBW und KfW Ipex Bank. Die Deutsche Bank führt mit 1,7 Milliarden Euro, gefolgt von der LBBW mit 1,3 Milliarden Euro. In Deutschland sind die Gegenstücke zur Infrastruktur in den USA, LNG-Import-Terminals, derzeit noch schwimmende, temporäre Anlagen, die schon mit Milliarden Steuergeldern durch den Bund unterstützt wurden. Zudem sollen noch feste Anlagen entstehen, die den Gasimport langfristig per Schiff ermöglichen sollen. Um diese Terminals schnell fertigzustellen, wurde ein LNG-Beschleunigungsgesetz verabschiedet, welches Zulassungs-, Vergabe-, Umwelt- und Nachprüfungsverfahren beschleunigt. Eine Öffentlichkeitsbeteiligung findet weiterhin statt – jedoch auf zwei Wochen verkürzt. Genehmigt wurde so ein Terminal auf der Insel Rügen, dessen Infrastruktur durch ein Meeresschutzgebiet gelegt wird.

Gasplattform vs. Fischerei im Senegal

Auch im Senegal gibt es solche Pläne. „Von einer Plattform im Meer an der Grenze zu Mauretanien soll ab 2024 Gas gefördert, direkt auf See zu LNG verpresst und dann exportiert werden“, berichtet Abibatou Banda Fall, Präsidentin der Organisation ARADES, zu Gast bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin. Das Gasfeld ist in verschiedene Blöcke aufgeteilt, mit leicht unterschiedlichen Besitzverhältnissen. Das Muster ist jedoch immer dasselbe: BP hat über die Hälfte der Anteile. Abhängig von dem Hoheitsgebiet, in dem sich der Block befindet, hält ein Staatskonzern aus dem Senegal bzw. Mauretanien rund 10 Prozent der Anteile. Der Rest entfällt auf Kosmos Energy, einen Tiefseeerkundungskonzern aus den USA.
Schon jetzt sind negative Konsequenzen für die lokale Bevölkerung spürbar. In der Millionenstadt Saint-Louis leben viele Menschen von der Fischerei. Durch die Plattform können sie die fischreichsten Gebiete nicht mehr aufsuchen. Rund um die Plattform nimmt der Fischbestand schon jetzt spürbar ab. Fisch ist eines der Hauptnahrungsmittel im Senegal, Entschädigungen und Alternativen für die Menschen gibt es bislang nicht. Mehr zu Gas im Senegal auch im PowerShift Podcast zum Thema Gasausstieg ab 5:45.
Abibatou Banda Fall sieht Erneuerbare Energien als Schlüssel hin zu einer nachhaltigen Energieerzeugung. Sie glaubt, dass Senegal das Potenzial hat, sich zu 100 Prozent aus Erneuerbaren Energien zu versorgen und gleichzeitig Kapazitäten hat, die Produktion von grünem Wasserstoff aufzubauen. Der Senegal kann dabei von reichlich Sonneneinstrahlung profitieren, die mit 4,2 bis 5 kWh/m2/Tag rund 70 Prozent mehr Energie bedeutet als in Norddeutschland. Erneuerbare Energien, insbesondere Solarenergie, haben das Potenzial, das Land in vielerlei Hinsicht zu transformieren. Laut einer Studie können Erneuerbare Energien viermal so viele Arbeitsplätze schaffen wie die Gasexploration.

Immenses Potenzial für Erneuerbare

Das Potenzial für Erneuerbare Energien in Senegal ist immens und wird aktiv durch die Just Energy Transition Partnership (JETP) gefördert. Die International Partners Group (IPG), zu der neben den USA und Frankreich auch Deutschland gehört, hat angekündigt, rund 2,5 Milliarden US-Dollar für den Ausbau erneuerbaren Energien bereitzustellen. So soll 40 Prozent der Energie im Senegal bis 2030 erneuerbar sein.
Was erstmal vielversprechend klingt, wird genau im Auge gehalten von der Senegal Germany People’s Alliance for Climate Justice (Senegal-Deutschland Bürger*innenallianz für Klimagerechtigkeit), die auf der COP 27 gegründet wurde. Der Aktivist*innen und Organisationen fordern einen sozial-gerechten Wandel hin zu 100 Prozent Erneuerbaren Energien im Senegal. Die Gasexploration lehnen sie ab und fordern stattdessen eine sofortige und ambitionierte Konzentration auf den Ausbau von Erneuerbaren Energien.

In allen Gesprächen ist deutlich geworden, dass Erdgas nicht nur für das Klima negative Folgen hat, sondern auch Menschen und Umwelt schadet. Die klare Botschaft an Deutschland und Europa lautet: Macht eure Hausaufgaben im Klimaschutz! Erstellt einen klaren Plan für den Ausstieg aus der Nutzung von Erdgas! Denn wenn die Nachfrage sinkt und auch politisch klar gemacht wird, dass Erdgas in absehbarer Zeit nicht mehr gebraucht wird, macht das die fossilen Investitionen unattraktiv. Das würde die Kämpfe der Menschen vor Ort für eine gesunde Umwelt und für das Recht auf eine nachhaltige Entwicklung direkt unterstützen. Die Bundesregierung muss das Glasgow Statement, in dem sie eigentlich öffentlicher Unterstützung neuer fossiler Projekte eine Absage erteilt hat, endlich ernst nehmen und entsprechend handeln. Um die Klimakrise aufzuhalten, Gesundheit zu schützen, Lebensgrundlagen zu erhalten und Ökosysteme zu bewahren, brauchen wir eine Abkehr vom Erdgas. Deutschland und Europa müssen jetzt damit anfangen.

Mehr zum Thema Gas und Energiepolitik allgemein finden Sie hier.

Dieser Bericht und die Veranstaltung zu LNG in Berlin wurden ermöglicht mit freundlicher Unterstützung des Landes Berlin – Landesstelle für Entwicklungszusammenarbeit. Für die Inhalte ist allein die bezuschusste Institution verantwortlich. Die hier dargestellten Positionen geben nicht den Standpunkt der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe wieder.

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