Artikel- und Stellungnahmen,Handels- und Investitionspolitik

Klimacheck Handelspolitik – Wie klimagerecht ist die europäische Handelspolitik?

Zusammenfassung

Die Europäische Union trägt mit ihren Handelsbeziehungen in erheblichem Maße zum Klimawandel bei. Vor allem ihre importbedingten Emissionen sind beträchtlich: Die EU ist weltweit der größte Nettoimporteur von Treibhausgasemissionen.

Zwar kündigte die Europäische Kommission an, die EU-Handelspolitik werde einen Beitrag zum Ziel einer klimaneutralen Weltwirtschaft leisten. Doch untergräbt ihre Handelspolitik dieses Ziel, indem sie auf eine fortgesetzte Steigerung des Handels mit emissionsintensiven Produkten setzt. Vor allem die EU-Handelsabkommen fördern klimaschädliche Warenströme durch ihren undifferenzierten Zollabbau.

Aber auch im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO schwächt die EU den Kampf gegen die Erderhitzung, unter anderem durch ihre Klagen gegen grüne Subventionen und Lokalisierungsauflagen anderer Staaten. Die EU behindert damit die globale Produktionssteigerung essenzieller Klimatechnologien.

Die unilateralen Klimainitiativen der EU-Handelspolitik – der CO2-Grenzausgleich CBAM und die Entwaldungsverordnung – verfolgen zwar grundsätzlich sinnvolle Ziele. Ihre Effektivität wird jedoch geschwächt durch die mangelhafte Unterstützung für Produzent*innen in wirtschaftlich schwächeren Ländern, um diese neuen Anforderungen erfüllen zu können.

Auch die von der EU-Handelspolitik forcierten Regeln für die Liberalisierung und den Schutz von Investitionen gefährden den Klimaschutz. Die undifferenzierte Investitionsliberalisierung begünstigt die noch immer beträchtlichen Auslandsinvestitionen europäischer Firmen in fossile Industrien. Die in immer mehr EU-Handelsabkommen enthaltenen Investor-Staat-Schiedsverfahren wiederum gefährden eine progressive Klimagesetzgebung.

Für eine klimagerechte EU-Handelspolitik bräuchte es daher einige Reformen, darunter:

  1. eine aktuelle Erfassung der Emissionsintensität des EU-Außenhandels;
  2. Verzicht auf klimaschädigende Handelsabkommen;
  3. Vorrang für schlankere Partnerschaftsabkommen mit Umwelt-, Klima- und Entwicklungsfokus;
  4. Umorientierung der EU-WTO-Politik auf globale Förderung von Klimatechnologien;
  5. Ergänzung unilateraler Klimainitiativen durch technische und finanzielle Hilfe;
  6. Verzicht auf Investor-Staat-Schiedsverfahren und Einführung klimabezogener Prüfmechanismen für Auslandsinvestitionen.

Einleitung

Mit ihrem Green Deal vom Dezember 2019 hat sich die Europäische Union das Ziel gesetzt, bis 2050 eine klimaneutrale und ressourcenschonende Wirtschaft zu erreichen.1Europäische Kommission: Der europäische grüne Deal, Mitteilung der Kommission, Brüssel, 11.12.2019, COM (2019) 640 final: https://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:b828d165-1c22-11ea-8c1f-01aa75ed71a1.0021.02/DOC_1&format=PDF In ihrer handelspolitischen Strategie aus dem Jahr 2021 kündigte die Europäische Kommission entsprechend an, auch ihre Handelspolitik werde einen Beitrag zum Green Deal leisten. Die Kommission wolle sicherstellen, „dass Handelsinstrumente den globalen Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft begleiten und unterstützen“. Um die Transformation zur Klimaneutralität zu erreichen, werde die EU-Handelspolitik auf allen Ebenen tätig werden: „multilateral, bilateral und autonom“.2Europäische Kommission: MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN Überprüfung der Handelspolitik – Eine offene, nachhaltige und entschlossene Handelspolitik, Brüssel, den 18.2.2021, COM(2021) 66 final: https://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:5bf4e9d0-71d2-11eb-9ac9-01aa75ed71a1.0003.02/DOC_1&format=PDF

Allerdings stehen die klimapolitischen Ambitionen der EU in einem Spannungsverhältnis zu den dominanten Zielen ihrer Handelspolitik: Marktöffnungen für europäische Exporteure, ungehinderter Zugang zu Rohstoffen, einschließlich fossiler Energieträger, sowie ein Wachstum des bilateralen Handels. So heißt es in ihrer Handelsstrategie zugleich, die EU müsse „einen offenen und unverzerrten Zugang zu internationalen Märkten gewährleisten, einschließlich neuer Marktzugangsmöglichkeiten und offener Handelsströme“.3Europäische Kommission: MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN Überprüfung der Handelspolitik – Eine offene, nachhaltige und entschlossene Handelspolitik, Brüssel, den 18.2.2021, COM(2021) 66 final: https://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:5bf4e9d0-71d2-11eb-9ac9-01aa75ed71a1.0003.02/DOC_1&format=PDF

Doch was bedeutet es für das Klimaziel der EU, wenn der Löwenanteil ihrer Handelswaren aus Gütern besteht, deren Produktion, Transport oder Verbrauch mit hohen Treibhausgasemissionen einhergeht – seien dies fossile Energieträger wie Kohle, Öl und Gas, energieintensive Industriewaren wie Stahl, Autos oder Chemikalien oder waldgefährdende Agrarimporte? Leistet die EU-Handelspolitik also tatsächlich einen Beitrag zum Green Deal oder legt sie dem Ziel einer klimaneutralen Weltwirtschaft nicht eher Hürden in den Weg?

Auf diese Fragen gibt der „Klimacheck Handelspolitik“ Antworten. Er beleuchtet dazu den Beitrag des EU-Handels und einzelner Wirtschaftsbranchen zum Klimawandel, analysiert die Rolle der EU-Handelsabkommen und die Aktivitäten der EU im multilateralen Rahmen der Welthandelsorganisation WTO. Daneben untersucht der Klimacheck zwei unilaterale Handelsinstrumente der EU – den CO2-Grenzausgleich CBAM und die Entwaldungsverordnung – sowie die europäische Investitionspolitik.

Das Fazit allerdings fällt ernüchternd aus. Bisher vermochte die EU-Handelspolitik noch keinen substanziellen Beitrag zum Ziel einer klimaneutralen Weltwirtschaft zu leisten. Denn ihre Export- und Wettbewerbsorientierung gerät immer wieder in Konflikt mit dem Kampf gegen die Erderhitzung. Die EU bräuchte daher umfassende Reformen, um ihre Handelspolitik klimagerecht zu gestalten. Vor allem müsste sie kooperativen Initiativen den Vorzug gegenüber ihren gegenwärtig dominierenden wettbewerblichen Instrumenten geben.

EU-Außenhandel: Beitrag zum Klimawandel

Als einer der größten Handelsblöcke der Erde trägt die Europäische Union erheblich zum Klimawandel bei. Ihre Treibhausgas-Emissionen gehen nicht nur auf die innereuropäische Produktion für den Eigenverbrauch zurück, sondern auch auf die Ein- und Ausfuhr von Waren. Vor allem die importbedingten Emissionen der EU sind überaus hoch, seit ihre transnationalen Unternehmen Teile ihrer Produktion in Länder mit Niedriglöhnen ausgelagert haben. Werden die Handelsströme der einzelnen Wirtschaftszweige betrachtet, sind es vor allem der Transport und die Industrie, die am stärksten zu den europäischen Emissionen beitragen.

Der Welthandel und der Treibhauseffekt

Die Produktion und der Transport von Gütern und Dienstleistungen, die auf den internationalen Märkten gehandelt werden, tragen in erheblichem Maße zum Klimawandel bei. Es wird geschätzt, dass zwischen 20 und 30 Prozent der globalen Kohlendioxidemissionen auf den Welthandel entfallen.4Glen P. Peters et al.: Growth in emissions transfers via international trade from 1990 to 2008, PNAS, May 24, 2011, Volume 108, No. 21, Seiten 8903–890: https://www.pnas.org/doi/full/10.1073/pnas.1006388108; Sylvain Weber et al.: CO2 embedded in trade: trends and fossil fuel drivers, CESIFO Working Papers, 7562, March 2019: https://www.cesifo.org/en/publications/2019/working-paper/co2-embedded-trade-trends-and-fossil-fuel-drivers; Brian R. Copeland et al.: Globalization and the Environment, National Bureau of Economic Research, Working Paper 28797, May 2021: https://www.nber.org/papers/w28797; WTO: The carbon content of international trade, WTO, Trade and Climate Change, Information brief No. 4, Geneva, 2022: https://www.wto.org/english/news_e/news21_e/clim_03nov21-4_e.pdf

Besonders schädlich sind dabei Massengüter wie die fossilen Energieträger Kohle, Öl und Gas, die – gemessen am Transportgewicht – den Löwenanteil des physischen Handels ausmachen.5UNEP/International Resource Panel: Sustainable Trade in Resources, Global Material Flows, Circularity and Trade, Nairobi 2020: https://www.unep.org/resources/publication/sustainable-trade-resources-global-material-flows-circularity-and-trade Hinzu kommen die erheblichen Emissionen verschiedener handelsintensiver Industriebranchen, vor allem der Metall-, Auto-, Chemie-, IT- und Elektronikindustrie.6Norihiko Yamana and Joaquim J. M. Guilhoto: CO2 Emissions Embodied in International Trade and Domestic Final Demand: Methodology and results using the OECD Inter-Country Input-Output Database, OECD Science, Technology and Industry Working Papers 2020/11: https://www.oecd.org/industry/co2-emissions-embodied-in-international-trade-and-domestic-final-demand-8f2963b8-en.htm

Auch der Handel mit Agrargütern verursacht einen erheblichen Ausstoß von Treibhausgasen, wenn für deren Anbau Wälder gerodet oder Moore trocken gelegt werden. Ein weiteres Problem ist der hohe Ausstoß von Methan in der Massentierhaltung und von Lachgas durch den Einsatz von Stickstoffdünger im Ackerbau.7FAO: Emissions due to agriculture. Global, regional and country trends 2000–2018. FAOSTAT 2020, Analytical Brief Series, No 18, Rom: https://www.fao.org/3/cb3808en/cb3808en.pdf Der Handel mit bergbaulichen Rohstoffen wie Eisenerz, Bauxit, Kupfer oder Gold belastet ebenfalls das Klima, sei es aufgrund der Entwaldung für den Aufschluss der Minen oder der Weiterverarbeitung und Verhüttung der Erze.8WWF et al.: Extracted Forests: Unearthing the role of mining-related deforestation as a driver of global deforestation, 2023: https://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/Wald/WWF-Studie-Extracted-Forests.pdf; Tshin Ilya Chardayre/Michael Reckordt/Hendrik Schnittker: Metalle für die Energiewende – Warum wir die Rohstoffwende und die Energiewende zusammendenken sollten, PowerShift, November 2022: https://power-shift.de/wp-content/uploads/2023/05/Metalle-fuer-die-Energiewende_web02_230523.pdf

Der Transport von Gütern und Dienstleistungen trägt ebenfalls zur Klimakrise bei. Es wird geschätzt, dass ein Drittel der handelsbezogenen CO2-Emissionen allein auf den Transport von Gütern entfällt.9“International freight transport is also estimated to represent, on average, 33 per cent of the carbon emissions generated by trade during the production and transport of goods traded internationally”, siehe: WTO: The carbon content of international trade, WTO, Trade and Climate Change, Information brief No. 4, Seite 8, Geneva, 2022: https://www.wto.org/english/news_e/news21_e/clim_03nov21-4_e.pdf. Mit den handelsbezogenen Emissionen sind die direkten und indirekten Emissionen gemeint, die bei der Produktion und dem Transport von Gütern und Dienstleistungen entstehen, die im- oder exportiert werden. Das entspricht zwischen 7 und 10 Prozent der globalen CO2-Emissionen. Mehr noch: Das International Transport Forum (ITF) der OECD schätzt, dass es bis zum Jahr 2050 zu einer Verdopplung des weltweiten Frachtverkehrs kommen könnte. Bleibe es bei den bisher angekündigten Emissionsreduktionen, zu denen sich die Staaten unter dem Pariser Abkommen verpflichtet haben, würden die CO2-Emissionen aus dem Frachtverkehr bis zum Jahr 2050 um 28 Prozent steigen.10Das ITF-Szenario berücksichtigt den gesamten globalen Frachtransport per Luft, See, Straße und Schiene. Der Anteil des internationalen Frachttransports beträgt dabei 42% (im Jahr 2019) bzw. 41% (im Jahr 2050) des gesamten globalen Frachttransports. Siehe: International Transport Forum: ITF Transport Outlook 2023, OECD: https://www.oecd-ilibrary.org/transport/itf-transport-outlook-2023_b6cc9ad5-en Das heißt: Die Reduktionsverpflichtungen sind völlig unzureichend, um die Emissionen des Frachtverkehrs zu senken.

Hinzu kommt ein ganz grundsätzliches Problem des Welthandels: Im Durchschnitt sind international gehandelte Waren klimaschädlicher als jene, die für den Verbrauch auf den Binnenmärkten produziert werden.11Laut einer Untersuchung von Weber et al. (2019) ist global betrachtet die Emissionsintensität von Exportgütern deutlich höher als die des Endverbrauchs, in den importierte und inländische Emissionen einfließen. Die Produktion für den Binnenmarkt ist folglich weniger emissionsintensiv als die für den Export. Siehe Sylvain Weber et al.: CO2 embedded in trade: trends and fossil fuel drivers, CESIFO Working Papers, 7562, March 2019: https://www.cesifo.org/en/publications/2019/working-paper/co2-embedded-trade-trends-and-fossil-fuel-drivers Internationaler Handel begünstigt mithin die Umgehung strengerer Umwelt- und Klimaauflagen, die viele Staaten mittlerweile für die Produktion auf ihren Binnenmärkten erlassen haben.

Die EU und der globale Emissionstransfer

Unternehmensverlagerungen und die Gründung ausländischer Niederlassungen sind ein wichtiger Treiber der Klimakrise. Denn die Auslagerung von Produktionsbetrieben erfolgt häufig in Gebiete, in denen nicht nur die Löhne niedrig sind, sondern auch die Umweltauflagen, darunter viele Schwellenländer. Aus diesem Grund wurden in den vergangenen Jahrzehnten zusammen mit den Betrieben auch große Mengen an CO2-Emissionen von Nord nach Süd verlagert – ein Prozess der „Carbon Leakage“ genannt wird.

Diese globale Verlagerung von Emissionen hat dazu beigetragen, dass wirtschaftlich schwächere Länder in ihrer Gesamtheit seit Mitte der 2000er Jahre mehr Treibhausgase emittieren als die Industriestaaten der OECD (siehe Grafik 1).

Grafik 1

Die EU und andere Industriestaaten profitieren dabei von der international vereinbarten Methodik der Emissionsbilanzierung, denn diese schönt ihre Klimakonten. In die Bilanzen, die bei der UN-Klimarahmenkonvention gemeldet werden, gehen nämlich nur die Emissionen ein, die im Territorium des berichtenden Staats bzw. Staatenbunds anfallen. Das heißt: Es fallen jene Emissionen raus, die bei der Erzeugung und dem Transport importierter Waren entstehen. Klimaforscher*innen nennen diese Methode territoriale Bilanzierung. Diese Methodik begünstigt vor allem die EU, da für ihren Konsum erhebliche CO2-Emissionen im Ausland anfallen, diese aber nicht in ihre territoriale CO2-Bilanz einfließen.12European Parliament: Economic Assessment of Carbon Leakage and Carbon Border Adjustment, Briefing, April 2020: https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/BRIE/2020/603501/EXPO_BRI(2020)603501_EN.pdf

Anders indes fällt das Ergebnis bei einer konsumbasierten Bilanzierung aus. Hier werden die importierten Emissionen den im Inland entstandenen hinzugerechnet, die Emissionen exportierter Produkte hingegen abgezogen. Die konsumbasierte Bilanzierung vermittelt mithin ein etwas realitätsnäheres Abbild der Emissionen einer Volkswirtschaft.13Steven J. Davis/Ken Caldeira: Consumption-based accounting of CO2 emissions, PNAS, 23. März 2010: https://www.pnas.org/doi/epdf/10.1073/pnas.0906974107

Im Fall der EU etwa beliefen sich die territorialen Emissionen im Jahr 2021 auf rund 2,8 Milliarden Tonnen Kohlendioxid. Die konsumbasierten Emissionen indes fielen mit 3,5 Milliarden Tonnen CO2 um 20 Prozent höher aus als die territorialen. Denn die EU importierte in diesem Jahr netto Emissionen von 692 Millionen Tonnen CO2 (siehe Grafik 2).

Grafik 2

Das heißt: Unter Berücksichtigung der Handelsströme sind die EU-Emissionen um 20 Prozent höher als bei einer rein territorialen Betrachtung. Die europäische Verantwortung für die Klimakrise ist mithin um einiges größer.

Tatsächlich ist die EU im weltweiten Vergleich der größte Nettoimporteur von CO2-Emissionen, noch vor den USA. China hingegen ist der mit Abstand größte Nettoexporteur von CO2-Emissionen (siehe Grafik 3).

Grafik 3

Seit dem WTO-Beitritt Chinas im Jahr 2001 haben zahlreiche transnationale Konzerne dort Produktionsstätten errichtet – meist als Joint Venture mit chinesischen Unternehmen. Dank dieser Investitionsschwemme verwandelte sich das asiatische Land mittlerweile zum Exportweltmeister – allerdings nicht nur von Waren, sondern auch von Emissionen. In der chinesischen Klimabilanz schlägt vor allem negativ zu Buche, dass die Energieversorgung der dortigen Industrie in großem Maße auf der Verbrennung der besonders dreckigen Steinkohle beruht.14Lauri Myllyvirta: Contradictory coal data clouds China’s CO2 emissions rebound in 2022, Carbon Brief, 15.2.2023: https://www.carbonbrief.org/analysis-contradictory-coal-data-clouds-chinas-co2-emissions-rebound-in-2022/

Da China zugleich der mit Abstand größte Warenlieferant der Europäischen Union ist, führt das Land auch die Liste der Staaten an, aus denen die EU die meisten Kohlendioxidemissionen importiert. Weitere Länder, die erhebliche Emissionen für den EU-Konsum erzeugen, sind Russland, die USA, Türkei, Indien und Kanada (siehe Grafik 4).

Grafik 4

Bild von Bergbau

Bild: darmau / Unsplash.com

Wie klimaschädlich sind die Im- und Exporte einzelner Branchen?

Bereits ein Blick auf die wichtigsten Gütergruppen, die die EU-Länder ein- und ausführen, liefert erste Hinweise auf die Klimarisiken des europäischen Außenhandels (siehe Grafik 5). So ist die Energie der wichtigste Importposten, der sich zum größten Teil aus den fossilen Energieträgern Kohle, Öl und Gas zusammensetzt. Bei den Exporten wiederum stammen über 80 Prozent aus der verarbeitenden Industrie. Hier dominieren Maschinen, Autos und Chemikalien – und damit jene Branchen, die aufgrund ihres hohen fossilen Energieverbrauchs erheblich zum Treibhauseffekt beitragen.

Grafik 5

Wieviel Treibhausgas die einzelnen Branchen durch die Ein- und Ausfuhr emittieren, lässt sich den Statistiken der OECD über die im Handel enthaltenen Emissionen zumindest näherungsweise entnehmen.15OECD: Carbon dioxide emissions embodied in international trade, 2021: https://stats.oecd.org/Index.aspx?DataSetCode=IO_GHG_2021 Im Handel der EU dominieren danach die häufig unterschätzten Emissionen aus dem Transport. Bei den Exporten ist der Transport die größte, bei den Importen die zweitgrößte Quelle von CO2-Emissionen. Als größte Emissionsquelle auf der Importseite ermitttelte die OECD die Energieversorgung – ein Ausdruck u.a. der großen Anteile von Kohle, Öl und Gas (siehe Grafik 6).

Grafik 6

Deutlich wird daneben die große Verantwortung der energieintensiven Industrie für die handelsbezogenen Emissionen der EU. Von der Chemieindustrie – einschließlich der Pharmaproduktion, der petrochemischen Industrie und den ölverarbeitenden Raffinerien – geht hier die größte Belastung aus.

Hohe Emissionen gehen ebenfalls auf das Konto der Metallindustrie sowie – vor allem auf der Exportseite – der Auto-, Maschinen- und Elektronikbranche. Bei den EU-Importen verursacht daneben der Bergbau erhebliche CO2-Emissionen. Europas hoher Verbrauch von metallischen und mineralischen Rohstoffen gehört folglich ebenso zu den wichtigen Treibern der Erderhitzung, unter anderem aufgrund von umweltschädlichen und emissionsintensiven Anbaumethoden im Bergbau.

 

Flugzeug über Containerschiffe

Bild: shawnanggg / Unsplash.com

Achillesferse: Die Transportemissionen des EU-Außenhandels

Die hohe Bedeutung der transportbedingten Emissionen des europäischen Handels zeigt, dass nicht nur die Klimawirksamkeit der Produktion der Waren, sondern auch der mit ihnen verbundenen Dienstleistungen in Betracht gezogen werden muss. Der Transport ist dabei, neben Reisedienstleistungen, der ökonomisch größte Sektor des internationalen Dienstleistungshandels, der zugleich beträchliche Mengen an Treihausgasen produziert.

Im EU-Außenhandel erfolgt der Großteil des Transports über den internationalen Seeverkehr.16Siehe European Commission: EU transport in figures, Statistical Pocketbook 2023, September 2023: https://transport.ec.europa.eu/facts-funding/studies-data/eu-transport-figures-statistical-pocketbook/statistical-pocketbook-2023_en Der Anteil der Seefracht ist besonders hoch, wenn das Gewicht der transportierten Güter zugrundegelegt wird. Bezogen auf das Transportgewicht entfallen 74 Prozent des EU-Außenhandels (Im- und Exporte) auf die Seefracht. Bezogen auf den Wert der transportierten Waren liegt der Anteil der Seefracht bei 46 Prozent (siehe Grafik 7).

Grafik 7

Umgekehrt ist das Verhältnis zwischen Werten und Gewicht bei der Luftfracht, wo im Vergleich zur Seefracht höherwertige Güter transportiert werden. Während das Transportgewicht der Luftfracht nur bei weniger als einem Prozent des EU-Handels liegt, entfallen rund 21 Prozent der gehandelten Warenwerte auf den äußerst klimaschädlichen Flugverkehr. Etwas geringere Anteile am EU-Außenhandel haben der Straßen- und Pipeline-Transport. Über die Pipelines werden Erdöl und Erdgas in die EU geliefert.

Der Blick auf die beiden wertmäßig wichtigsten Verkehrsträger des EU-Außenhandels zeigt, dass die Emissionen des internationalen Flugverkehrs17Nachfolgend werden die gesamten kommerziellen Luftfahrtemissionen betrachtet, d.h. sowohl aus dem Fracht- als auch dem Passagierverkehr. Zwar entfallen global nur geschätzte 19 Prozent der Luftfahrtemissionen auf den Frachtverkehr, doch auch die 81 Prozent des Passagierverkehrs gehören zu einer klimapolitischen Bewertung des Außenhandels. Denn die Einnahmen aus dem internationalen Luftverkehr gehen in ihrer Gesamtheit in die Bilanz des Dienstleistungshandels ein, seien dies Reisen oder Luftfracht. Zu den Emissionsanteilen von Fracht- und Passagiertransport in der kommerziellen Luftfahrt siehe: Brandon Graver et al.: CO2 emissions from commercial aviation, 2018, International Council for Clean Transportation (ICCT), Working Paper 2019-16, September 2019: https://theicct.org/wp-content/uploads/2021/06/CO2-commercial-aviation-oct2020.pdf besonders lang angestiegen sind (siehe Grafik 8). Bis zur Coronakrise erreichten sie das Niveau des internationalen Seeverkehrs. Der durch die Coronamaßnahmen verursachte Rückgang der Emissionen im Jahr 2020 war allerdings nur ein vorübergehendes Phänomen: Bereits im Folgejahr stiegen sie wieder deutlich an.

Grafik 8

Etwas anders verliefen die Emissionen der Seefracht. Nach langjährigem Anstieg sind sie seit der internationalen Finanzkrise 2008 wieder etwas gesunken, verblieben jedoch auf deutlich höherem Niveau als 1990 und verzeichneten auch keinen so tiefen coronabedingten Rückgang.

Ein Szenario der Europäischen Umweltagentur zeigt, dass auch perspektivisch mit einem Anstieg der Emissionen aus dem internationalen See- und Flugverkehr der EU gerechnet werden (siehe Grafik 9).18European Environment Agency: Greenhouse gas emissions from transport in Europe: 24.10.2023: https://www.eea.europa.eu/en/analysis/indicators/greenhouse-gas-emissions-from-transport Bleibt es bei den wenigen existierenden Maßnahmen19Zu diesen Maßnahmen gehört etwa die sukzessive Ausweitung des EU Emissionshandelssystems auf den internationalen Seeverkehr vom 1. Januar 2024. Im Extra-EU-Verkehr werden künftig 50 Prozent der Emissionen großer Schiffe, die EU-Häfen ansteuern oder verlassen, vom Emissionshandel erfasst. Siehe: European Commission: Reducing emissions from the shipping sector: https://climate.ec.europa.eu/eu-action/transport/reducing-emissions-shipping-sector_en der EU-Regierungen zur Eindämmung der Emissionen der See- und Luftfahrt, werden diese weiter steigen – und nicht sinken, wie eigentlich erforderlich wäre. Einen besonders starken Emissionsanstieg erwartet die EU-Behörde in den kommenden zwei Jahren dabei im Flugverkehr.

Grafik 9

Tritt dieses Szenario ein, werden die beiden für den EU-Außenhandel wichtigsten Verkehrsträger – See- und Luftfahrt – bis 2040 wachsende Mengen an Treibhausgasen erzeugen. Im Unterschied zur internationalen See- und Luftfahrt erwartet das Europäische Umweltbüro im Straßenverkehr einen Rückgang der Emissionen. Einer der Gründe hierfür ist, dass die EU-Regierungen mit der Förderung der E-Mobilität in diesem Sektor entschlossenere Maßnahmen zur Dekarbonisierung ergriffen haben.20European Environment Agency: Greenhouse gas emissions from transport in Europe: 24.10.2023: https://www.eea.europa.eu/en/analysis/indicators/greenhouse-gas-emissions-from-transport Für die EU-Handelspolitik heißt das: Ihre wertmäßig wichtigsten Transportmodi – See- und Luftverkehr – bleiben offensichtlich eine Achillesferse für die Einhaltung der europäischen Klimaziele.

Handelsabkommen: Treiber der Erderhitzung

Die EU rühmt sich, über das weltweit größte Netzwerk von Handelsabkommen zu verfügen. Ihre 42 Abkommen mit 74 Partnerländern umfassen 44 Prozent des gesamten EU-Außenhandels. Der durch diese Abkommen abgedeckte Güterhandel summierte sich 2022 auf 2,4 Billionen Euro.21European Commission: REPORT FROM THE COMMISSION TO THE EUROPEAN PARLIAMENT, THE COUNCIL, THE EUROPEAN ECONOMIC AND SOCIAL COMMITTEE AND THE COMMITTEE OF THE REGIONS on the Implementation and Enforcement of EU Trade Policy, Brüssel, 15.11.2023, COM(2023) 740 final: https://ec.europa.eu/transparency/documents-register/detail?ref=COM(2023)740&lang=en Doch der Großteil der durch die Handelsabkommen liberalisierten Güter belastet das Klima. Mit dem von ihr angestrebten Abbau von Zöllen und nichttarifären Maßnahmen fördert die EU daher auch eine Zunahme des Handels mit emissionsintensiven Waren.

Dennoch behandelt die Europäische Kommission das Wachstum bilateraler Warenströme als zentrales Erfolgskriterium ihrer Handelsabkommen. Bei der Präsentation ihres jüngsten Sachstandsberichts über die Umsetzung der EU-Handelspolitik verweist sie auf deren Erfolge. So sei der Handel mit den Top 20-Partnern ihrer Handelsabkommen im Jahr 2022 um durchschnittlich 30 Prozent gewachsen.22European Commission: Value of EU trade deals surpasses €2 trillion, Brüssel, 15.11.2023: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_23_5742 Das jedoch ist eher eine schlechte Nachricht für das Weltklima, wie der nachfolgende Blick auf die Verträge mit Südkorea und Kanada zeigt. Auch geplante Abkommen – wie das mit dem Mercosur – bergen erhebliche Umweltrisiken, zumal es kaum wirksame Klauseln zur Risikoprävention gibt.

Handelsabkommen mit Südkorea: Schub für Verbrennerhandel

Die Europäische Kommission ist besonders stolz auf das Handelsabkommen mit Südkorea. Seit dessen Anwendung seien die europäischen Autoexporte in das asiatische Land um 217 Prozent gestiegen, so die Kommission.23European Commission: Value of EU trade deals surpasses €2 trillion, Brüssel, 15.11.2023: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_23_5742 Doch ist der Autohandel zwischen EU und Südkorea aus Klimaperspektive eher als Belastung denn als Erfolg zu bewerten.

Das Handelsabkommen zwischen beiden Partnern wurde bereits seit Juli 2011 vorläufig angewendet und trat im Dezember 2015 – nach Ratifizierung in allen EU-Mitgliedsstaaten – vollständig in Kraft. Im Kraftfahrzeugbereich wurden die Zölle seit der Vertragsanwendung von rund 8 Prozent in zwei Schritten bis 2016 weitgehend beseitigt.24IFO/Civic: Evaluation of the Implementation of the Free Trade Agreement between the EU and its Member States and the Republic of Korea, Final Report, Mai 2018: https://policy.trade.ec.europa.eu/analysis-and-assessment/ex-post-evaluations_en Seither sind sowohl die EU-Exporte nach Südkorea als auch die südkoreanischen Exporte in die EU kräftig gestiegen (siehe Grafik 10).

Grafik 10

Der Löwenanteil entfällt jedoch auf fossil betriebene Verbrenner-Autos. Die klimafreundlicheren E-Autos hingegen spielen bisher noch eine geringe Rolle. Lediglich südkoreanische Firmen exportieren mittlerweile einen größeren Anteil von E-Autos in die EU, der bezogen auf den Wert zuletzt 22 Prozent der südkoreanischen KFZ-Exporte erreichte. Bei den europäischen KFZ-Exporten entfällt bisher jedoch nur ein sehr kleiner Anteil von rund 4 Prozent auf E-Autos. Mit ihren durch das Handelsabkommen unterstützten Verbrennerexporten können europäische Autohersteller den dringend erforderlichen Umbau ihrer Produktpalette folglich weiter verschleppen.

Zudem dominieren bei den EU-Exporten nach Südkorea die besonders umweltschädlichen Dieselfahrzeuge, die neben Kohlendioxid auch große Mengen Stickoxid ausstoßen. Mehr noch: Auch in Südkorea verkauften europäische Hersteller Dieselautos, deren Abgaswerte durch den Einbau illegaler Software manipuliert worden sein sollen. Aus diesem Grund haben südkoreanische Behörden gegen diese Hersteller in den vergangenen Jahren Bußgelder verhängt.25Süddeutsche Zeitung: Gericht in Südkorea: Bußgeld gegen VW wegen Abgasaffäre, 6.2.2022: https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/auto-seoul-gericht-in-suedkorea-bussgeld-gegen-vw-wegen-abgasaffaere-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-200206-99-802999; Zeit Online: Mercedes-Benz soll in Südkorea Millionen-Strafe zahlen, 6.2.2022: https://www.zeit.de/news/2022-02/06/mercedes-benz-soll-in-suedkorea-millionen-strafe-zahlen

CETA: wachsende EU-Einfuhr von Erdöl

Auch beim EU-Kanada-Abkommen CETA macht die Europäische Kommission sehr deutlich, was für sie das zentrale Erfolgskriterium ist. Kurz und bündig schreibt sie über den Vertrag: „Sein Ziel ist es, den Handel zu steigern, Wachstum und Jobs zu generieren“.26European Commission: CETA chapter by chapter: https://policy.trade.ec.europa.eu/eu-trade-relationships-country-and-region/countries-and-regions/canada/eu-canada-agreement/ceta-chapter-chapter_en Und dieses Ziel sei seit seiner vorläufigen Anwendung im September 2017 erfüllt worden. „CETA funktioniert. CETA liefert“, behauptet die Kommission auf Social Media und begründet dies so: „Seit CETA’s vorläufiger Anwendung ist der Handel um beeindruckende 66 Prozent gestiegen und summiert sich auf 77 Millarden Euro.“27Siehe Mastodon-Post der EU-Kommission vom 23.11.2023: https://social.network.europa.eu/@EU_Commission/111458761662625630

Zu den Gütern, deren Austausch im EU-Kanada-Handel zunahm, gehören jedoch auch überaus klimaschädliche Produkte. So sind die europäischen Rohölimporte aus Kanada in den letzten Jahren beträchtlich gestiegen – sowohl mengen- als auch wertmäßig. Im Jahr 2022 führte die EU vier Millionen Tonnen Rohöl im Wert von 2,5 Milliarden Euro aus Kanada ein (siehe Grafik 11).

Grafik 11

Obgleich die Verbrennung von Erdöl ein zentraler Treiber der Erderhitzung ist, sieht CETA keinerlei Maßnahmen vor, um den Ausstieg aus dem Erdölhandel einzuleiten. Im Gegenteil hat die EU gegenüber Kanada auch noch die bisher existierenden Zölle auf diverse weiterverarbeitete Öl- und Gasprodukte beseitigt. Diese betrugen bis zu 8 Prozent.28Government of Canada: Opportunities and Benefits of CETA for Canada’s Oil and Gas Exporters, 26.9.2022: https://www.international.gc.ca/trade-commerce/trade-agreements-accords-commerciaux/agr-acc/ceta-aecg/business-entreprise/sectors-secteurs/OGE-EPPG.aspx?lang=eng

Trotz der Klimakrise tragen Abkommen wie CETA folglich zur Verbreitung von fossilen Energieträgern bei, sei es durch fehlende Verpflichtungen zum Erdöl-Ausstieg oder die Beseitigung noch bestehender Zölle auf Öl- und Gasprodukte.

EU-Mercosur: Emissionen durch importierte Entwaldung

Doch nicht nur existierende EU-Verträge sind Grund zur Sorge, sondern auch die europäischen Verhandlungen über weitere Handelsabkommen, darunter das mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay).

Das Mercosur-Abkommen könnte erhebliche zusätzliche Treibhausgasemissionen erzeugen, wenn EU-Importe die Agrarexpansion in Südamerika verstärken, zu Landnutzungsänderungen und Entwaldung beitragen. Dieses Risiko ist sehr hoch, da die EU den Mercosur-Exporteuren zollbegünstigte Quoten für Rindfleisch, Hühnerfleisch, Rohrzucker und Bioethanol anbietet, während Argentinien für Sojaexporte in die EU die Exportsteuern senken will.29Thomas Fritz: EU-Mercosur-Abkommen – Risiken für Klimaschutz und Menschenrechte, Misereor/Greenpeace/Dreikönigsaktion, Juni 2020: https://greenwire.greenpeace.de/Fritz-Studie-EU-Mercosur

Wie wichtig Landwirtschaft und Entwaldung für die Emissionen der südamerikanischen Länder sind, zeigt ein Blick auf die Treibhausgasbilanz Brasiliens, des mit Abstand größten Mercosur-Landes (siehe Grafik 12).

Grafik 12

Anders als in der EU entfallen über zwei Drittel der brasilianischen Emissionen auf die Landwirtschaft und die Landnutzungsänderungen, die wesentlich durch die Entwaldungsraten des Landes bestimmt werden – vor allem durch Rodungen in Amazonien und in der Trockenwaldregion des Cerrado. Die brasilianische Treibhausgasbilanz zeigt daneben zweierlei: Die Emissionen der Landwirtschaft sind unablässig gestiegen, während die Emissionen aus Landnutzungsänderungen und Entwaldung sehr stark schwanken.30SEEG: Sistema de Estimativas de Emissões e Remoções de Gases de Efeito Estufa, 2023: https://plataforma.seeg.eco.br/

Genau vor diesem Hintergrund sind die geplanten Liberalisierungen des Agrarhandels zwischen EU und Mercosur so gefährlich. Sie forcieren die Exporte des brasilianischen Agrobusiness, dessen Emissionen beharrlich steigen, und erhöhen dadurch den Druck zur Erschließung weiterer Acker- und Weideflächen. Das wiederum erhöht den Anreiz zur Abholzung der so wichtigen Kohlenstoffspeicher in Amazonien und dem Cerrado.

Umso unverständlicher ist es, dass die offizielle Folgenabschätzung der EU-Kommission zum Mercosur-Abkommen die Landnutzung (land use, land use change and forestry – LULUCF) aus ihrer Berechnung des Emissionsrisikos ausgeklammert hat. Sie kommt u.a. aus diesem Grund zu dem fragwürdigen Ergebnis, das Abkommen sei weitgehend emissionsneutral. Selbst in ihrem ambitionierten Szenario einer weitreichenden Liberalisierung würde dessen Umsetzung in den Mercosur-Staaten maximal zu zusätzlichen Emissionen von 17,5 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten führen, die jedoch durch Emissionsminderungen in der EU und weiteren Staaten ausgeglichen würden.31LSE Consulting: Sustainability Impact Assessment in Support of the Association Agreement Negotiations between the European Union and Mercosur, Final Report, December 2020, Seite 86f.: https://policy.trade.ec.europa.eu/news/commission-publishes-final-sia-and-position-paper-eu-mercosur-trade-agreement-2021-03-29_en

Wie wichtig jedoch allein die durch das Abkommen induzierten Landnutzungsänderungen sein können, verdeutlichen Szenarien, die das brasilianische Umweltinstitut Imazon berechnen ließ.32Farzad Taheripour/Angel H. Aguiar: The impact of the EU-Mercosur trade agreement on land cover change in the Mercosur region, in: Imazon (Hg.): Is the EU-Mercosur trade agreement deforestation-proof? Belém, November 2020: https://imazon.org.br/en/publicacoes/is-the-eu-mercosur-trade-agreement-deforestation-proof/ Sollte der EU-Mercosur-Vertrag umgesetzt werden, können die Umwandlung von Wäldern in Weiden und von Weiden in Äcker demnach zusätzliche Emissionen zwischen 75 und 173 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten erzeugen (siehe Grafik 13).

Grafik 13

Bild von Waldbrand

Bild: Faruk Hosen / Pixabay.com

Die Imazon-Szenarien berücksichtigen dabei unterschiedliche Intensitäten der Entwaldung und der Landnutzung sowie der Reaktion auf Preisänderungen durch den vereinbarten Zollabbau. Nach diesen Szenarien können die zusätzlichen Emissionen aus den Landnutzungsänderungen um das 4- bis 10-fache höher liegen als die von der EU-Folgenabschätzung ohne die Landnutzung kalkulierten Werte.

Zum Vergleich: Die möglichen Landnutzungsemissionen des EU-Mercosur-Abkommens würden mit bis zu 173 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten noch etwas höher ausfallen als die gesamten Treibhausgasemissionen Bayerns und Baden-Württembergs zusammen (rund 160 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente im Jahr 2020).33Statistische Ämter des Bundes und der Länder: Umweltökonomische Gesamtberechnung der Länder, Treibhausgasemissionen, 2023: https://www.statistikportal.de/de/ugrdl/ergebnisse/gase/thg Bei Inkraftsetzung dieses Abkommen droht folglich ein herber Rückschlag im Kampf gegen den Klimawandel.

Schwache Klimaklauseln bleiben wirkungslos

Ein weiteres Manko der EU-Politik ist, dass ihre Handelsabkommen bisher keine effektiven Regelungen beinhalten, um die Klimarisiken des Handels einzudämmen. In älteren Abkommen, etwa mit Öl- und Gasexporteuren wie Norwegen, Mexiko und Algerien, gibt es – abgesehen von unverbindlichen Kooperationsvereinbarungen – überhaupt keine spezifischen Verpflichtungen zum Klimaschutz. Erst seit 2011 verankert die EU sogenannte Nachhaltigkeitskapitel, in denen unterschiedlich weitreichende umweltpolitische Klauseln enthalten sind, die häufig – aber nicht immer – den Klimaschutz adressieren.34Marc Jütten: Trade and sustainable development in EU free trade agreements, European Parliamentary Research Service, November 2023: https://www.europarl.europa.eu/thinktank/en/document/EPRS_BRI(2023)754613

Wie unterschiedlich der Klimaschutz behandelt wird, zeigt sich bei einigen der jüngeren Handelsverträge. Der erste Vertrag mit einem Nachhaltigkeitskapitel ist das Handelsabkommen mit Südkorea aus dem Jahr 2011, in dem sich die Vertragsparteien zu ihren Verpflichtungen aus der Klimarahmenkonvention und dem Kyoto-Protokoll bekennen.35Thomas Fritz: Umweltschutz in den Nachhaltigkeitskapiteln der EU-Handelsabkommen. Stand, Wirksamkeit und Reformen, PowerShift (Hg.), Berlin, Mai 2019: https://power-shift.de/wp-content/uploads/2019/08/Umweltschutz-in-den-Nachhaltigkeitskapiteln-der-EU-Handelsabkommen.pdf Im Nachhaltigkeitskapitel des EU-Kanada-Abkommens CETA von 2017 indes fehlt eine solche Referenz zur Klimakonvention. Anders wiederum das EU-Japan-Abkommen von 2019: Hier enthält das Nachhaltigkeitskapitel erstmals auch eine Verpflichtung zur Umsetzung des Pariser Abkommens.36T&E et al: From CETA to JEEPA: The variations in the ‘trade & sustainable development’ provisions in EU free trade agreements, Eurogroup for Animals/Transport & Environment/Fern/Concord (Hg.), September 2018: https://www.transportenvironment.org/discover/ceta-jeepa-have-sustainability-safeguards-improved-eus-trade-deals/

Zentrale Schwäche der Nachhaltigkeitskapitel aber ist, dass sie vom Streitschlichtungsmechanismus der Abkommen ausgeklammert sind und bei Verstößen keine Handelssanktionen ergriffen werden können. Dadurch bleiben auch ihre Klimaklauseln weitgehend zahnlos.

Dieses Defizit wurde erstmals zumindest teilweise in dem EU-Handelsabkommen mit Neuseeland behoben, das nach der jüngsten Zustimmung des Europaparlaments Mitte 2024 in Kraft treten könnte. Gemäß dem dortigen Nachhaltigkeitskapitel können zumindest Verstöße gegen das Pariser Abkommen und die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation mit Handelssanktionen geahndet werden. Dies gilt allerdings nicht für alle übrigen Artikel dieses Kapitels, etwa jene zum Schutz gegen Entwaldung oder das Artensterben – obgleich auch dies unverzichtbare Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel sind.37Thomas Fritz: On track for sustainable trade? The EU-New Zealand trade agreement from a sustainability perspective, Arbeiterkammer Wien, 2023: https://emedien.arbeiterkammer.at/viewer/image/AC16906200/

Bild von Waldbrand

Bild: Matt Palmer / Unsplash.com

Ihren leicht modifizierten Nachhaltigkeitsansatz will die EU allen Vertragspartnern bei künftigen Handelsverhandlungen vorschlagen. Ob diese zustimmen, ist jedoch fraglich. Das im Dezember 2023 unterzeichnete EU-Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit Kenia etwa enthält keine Sanktionsmöglichkeit bei Verstößen gegen das Pariser Abkommen – die kenianische Regierung hatte sich gegen diese Option gesperrt.38Leila van Rinsum: Staatssekretär über Abkommen mit Kenia: „Wir wollen Wertschöpfung vor Ort“, taz, 19.6.2023: https://taz.de/Staatssekretaer-ueber-Abkommen-mit-Kenia/!5938846/ Und im Fall des EU-Kanada-Abkommens CETA war es die EU-Kommission selbst, die die Forderung der kanadischen Seite nach einem sanktionsbewehrten Nachhaltigkeitskapitel abgelehnt hatte.39Hendrick Kafsack: Nachhaltiger Handel: EU-Kommission blockiert Durchsetzung von Umwelt- und Arbeitsstandards in CETA, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.4.2023: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/eu-kommission-blockiert-umsetzung-von-umweltstandards-in-ceta-18821750.html Hinzu kommt: Alle bereits existierenden Abkommen müssen weiterhin ohne die Sanktionsoption bei Klimavergehen auskommen – und bleiben somit unverändert wirkungslos.

Zudem kennen die Abkommen keine Maßnahmen, um den Handel mit klimaschädlichen Gütern einzudämmen. Es gibt weder Verpflichtungen zur Dekarbonisierung ihrer Produktion noch zur Nichtverbreitung solcher Güter. Ganz im Gegenteil kurbelt der vereinbarte Abbau von Zöllen und nichttarifären Maßnahmen den Absatz emissionsintensiver Waren mitunter noch an. Die Nachhaltigkeitskapitel können die daraus resultierenden Produktionssteigerungen klimaschädlicher Waren weder aufhalten noch kompensieren – selbst wenn sie mit Sanktionsoptionen versehen werden.

Auch im Hinblick auf die klimaschädliche Struktur der Zölle und nichttarifären Maßnahmen bleiben die Nachhaltigkeitskapitel weitgehend zahnlos. Diese Struktur begünstigt emissionsintensive gegenüber emissionsärmeren Waren (siehe Box 1). Zwar enthalten die Nachhaltigkeitskapitel mitunter Absichtserklärungen zur Liberalisierung umweltfreundlicherer Güter; das allein ändert aber noch nicht die klimaschädliche Zollstruktur.

Box 1
Wie EU-Zölle CO2-Emissionen subventionieren

EU-Länder subventionieren die Emission von Treibhausgasen nicht nur direkt über verschiedene Steuervergünstigungen (etwa für Flugbenzin, Industriestrompreise oder den Dieselverbrauch), sondern auch indirekt, indem sie die gigantischen Schäden des Klimawandels den Verursachern nicht angemessen in Rechnung stellen.40CAN Europe: Fossil Subsidies in the EU, März 2023: https://caneurope.org/how-to-stop-the-never-ending-nightmare-new-report-tracks-fossil-fuel-subsidies-in-the-eu/ Auch die Handelspolitik subventioniert Treibhausgasemissionen, und zwar durch ihre spezifische Struktur von Zöllen und sogenannten nichttarifären Maßnahmen, etwa Produktstandards oder Umweltauflagen.

So erhebt die EU auf viele emissionsintensive Güter niedrigere Zölle als auf emissionsärmere Produkte. Manche besonders klimaschädliche Rohstoffe sind sogar weitgehend zollbefreit, etwa Rohöl, Erdgas, Kohle, Eisenerz, Sojabohnen und viele Holzprodukte. Auf zahlreiche emissionsärmere Güter sind dagegen deutlich höhere Importzölle fällig, beispielsweise auf Solarfolien 6,5 Prozent, Kugellager für Windräder 8 Prozent, E-Autos 10 Prozent und auf Fahrräder sogar 14 Prozent.41Die hier angegebenen Sätze beziehen sich auf die Meistbegünstigungszölle, die in der EU-Zolltarifdatenbank TARIC als Drittlandszölle (Erga Omnes) angegeben sind: https://taxation-customs.ec.europa.eu/customs-4/calculation-customs-duties/customs-tariff/eu-customs-tariff-taric_de Eine klimagerechte Zollstruktur müsste hingegen höhere Sätze für schädlichere Produkte vorsehen, statt diese noch zu subventionieren.

Die EU steht mit dieser Praxis zwar nicht allein, sie nutzt sie aber in besonders starkem Maße. Nach Berechnungen des US-Forschers Joseph Shapiro subventionieren die Staaten im weltweiten Durchschnitt mit ihrer verzerrten Zoll- und Auflagenstruktur den CO2-Ausstoß mit umgerechnet 78 bis 110 Euro pro Tonne. Das entspreche einem jährlichen Betrag von 500 bis 750 Milliarden Euro. In EU-Ländern falle die Subvention des CO2-Verbrauchs über die Struktur von Zöllen und nichttarifären Maßnahmen mit 160 Euro pro Tonne teils sogar noch höher aus. Das heißt: In der EU sind die zollbedingten Emissionssubventionen mitunter doppelt so hoch wie im globalen Durchschnitt.42Joseph S. Shapiro: The Environmental Bias of Trade Policy, National Bureau of Economic Research, NBER Working Paper 26845, November 2020: https://www.nber.org/papers/w26845

Das Ausmaß der Subventionen durch Niedrigzölle auf emissionsstarke Waren zeigt sich auch im Vergleich zum CO2-Preis, der in der EU in den vergangenen zwei Jahren um 80 Euro pro Tonne schwankte.43EMBER: Carbon Price Tracker: https://ember-climate.org/data/data-tools/carbon-price-viewer/ Der im Europäischen Emissionshandel ermittelte CO2-Preis, der Treibhausgasemissionen verteuern soll, war folglich um die Hälfte niedriger als die Subventionen durch die ökologisch verzerrten Zölle, die dieselben Emissionen wieder verbilligen. Im Klartext: Die klimablinde Struktur von Zöllen und nichttarifären Maßnahmen unterminiert die Lenkungswirkung des CO2-Preises in starkem Maße.

Multilaterale Handelspolitik: inkonsistent

Die Europäische Union ist eine traditionelle Verfechterin des multilateralen Handelssystems, das in der Nachkriegs-Ära durch das GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) und seit 1995 durch die Welthandelsorganisation WTO (World Trade Organisation) überwacht wird. Die WTO genießt großen Einfluss nicht nur aufgrund der multilateralen Handelsverträge, die unter ihrem Dach versammelt sind (GATT, GATS, TRIPS etc.), sondern vor allem aufgrund des Streitschlichtungsorgans.

Die von der EU angestrengten Streitfälle unter dem GATT/WTO-System dienten jedoch nicht immer dem Klimaschutz, sondern in erster Linie den Exportinteressen europäischer Unternehmen. So hatte die EU bereits einige Verfahren unter dem GATT-System angestrengt, die sich gegen Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen anderer Staaten richteten (siehe Box 2). Mit ihren jüngeren WTO-Verfahren gegen grüne Subventionen und Lokalisierungsauflagen behindert sie ebenfalls die internationale Verbreitung moderner klimaschonender Produkte und Verfahren. Dies wiederum geschieht vor dem Hintergrund einer starken Position europäischer Hersteller im internationalen Wettbewerb um Klimatechnologien.

Box 2
GATT: Frühe EU-Klagen gegen Umwelt- und Klimamaßnahmen

Bereits 1987 initiierte die Europäische Gemeinschaft gemeinsam mit Kanada und Mexiko ein GATT-Streitverfahren gegen die USA, die eine Ausgleichsabgabe (die sog. „Superfund“ tax) auf spezifische Chemikalien eingeführt hatten, die in importierten Erdölprodukten enthalten waren. Die Einnahmen aus der Abgabe dienten der Sanierung von Sondermülldeponien, die durch diese Produkte belastet waren. Die EG jedoch betrachtete die Abgabe als Handelshemmnis für die Exporte ihrer petrochemischen Industrie.44GATT: UNITED STATES - TAXES ON PETROLEUM AND CERTAIN IMPORTED SUBSTANCES, Report of the Panel adopted on 17 June 1987: https://www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/gatt_e/87superf.pdf

Im Jahr 1993 strengte die EG ein weiteres GATT-Verfahren gegen Autosteuern an, die die USA auf PKWs mit hohem Kraftstoffverbrauch erhoben hatten, darunter die Luxus- und Benzinfresser-Steuern („luxury tax“, „gas guzzler tax“). Die EG kritisierte, diese Steuern würden vor allem die Exporte europäischer Automarken treffen.45GATT: UNITED STATES - TAXES ON AUTOMOBILES, Report of the Panel, 11 October 1994: https://www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/gatt_e/93autos.pdf

Mit beiden GATT-Verfahren blieb die EG jedoch erfolglos. Zur Ironie der Geschichte gehört: Vor allem die Superfund-Steuer gilt heute als Vorläufer eines WTO-kompatiblen Grenzausgleichs, wie sie die EU mit ihrem CBAM nun selbst einführt (siehe Kapitel 5).46Michael A. Mehling/Robert A. Ritz: Going beyond default intensities in an EU carbon border adjustment mechanism, Cambridge Working Papers in Economics 2087, September 2020: https://www.econ.cam.ac.uk/research-files/repec/cam/pdf/cwpe2087.pdf

EU: starke Stellung im Export von Klimatechnologien

Unternehmen der EU-Staaten gehören zu den wettbewerbsstärksten Anbietern von modernen Niedrigemissions- und Klimaschutztechnologien. Für den globalen Klimaschutz wäre es wichtig, wenn auch andere Länder in die Produktion und den Einsatz derartiger Produkte einsteigen würden. Die internationale Verbreitung von Technologien zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung müsste insofern – neben der Armutsbekämpfung und dem Schutz der Menschenrechte – eines der zentralen Ziele der EU sein.

Doch betreibt sie mit ihrer Handelspolitik allzu häufig das genaue Gegenteil, vor allem wenn Klima-Initiativen anderer Staaten den Exportinteressen der EU-Industrie im Wege stehen. Die EU ist faktisch eine der treibenden Kräfte im zunehmend aggressiveren Wettbewerb um die Vorherrschaft bei klimafreundlichen Technologien geworden. So geht sie aktiv gegen politische Maßnahmen zur Förderung grüner Industrien im Ausland vor. Damit aber behindert sie die globale Energiewende und die internationale Industrietransformation. Dies ist umso fragwürdiger, angesichts der starken Stellung die europäische grüne Technologien auf den Weltmärkten erworben haben.

Denn die EU ist – nach China – der zweitgrößte Exporteur von Niedrigemissionstechnologien, zu denen eine breite Palette von Produkten gehören, seien es Windturbinen, Dämmstoffe, E-Autos, Wärmepumpen oder intelligente Messgeräte. In den vergangenen Jahren konnte die EU ihren Weltmarktanteil an diesen modernen Technologien deutlich erhöhen, von 19 auf 23 Prozent zwischen 2019 und 2022 (siehe Grafik 14).47John Springford/Sander Tordoir: Europe can withstand American and Chinese subsidies for green tech, Policy Brief, Centre for European Reform (CER), Juni 2023: https://www.cer.eu/sites/default/files/pbrief_JS_ST_green_tech_9.6.23.pdf Noch stärker indes war das Wachstum der chinesischen Exporte, die sich von 23 auf 34 Prozent erhöhten, angetrieben vor allem durch die Ausfuhr von E-Autos, Lithium-Ionen-Batterien und Solarzellen – in China „die neuen Drei“ genannt.48You Xiaoying: The ‘new three’: How China came to lead solar cell, lithium battery and EV manufacturing, China Dialogue, 7.11.2023: https://chinadialogue.net/en/business/new-three-china-solar-cell-lithium-battery-ev/

Grafik 14

Doch auch die EU hat erhebliche Weltmarktanteile in wichtigen Segmenten der modernen Klimatechnologien gewonnen, vor allem im Bereich der Windenergie. So entfallen bei den Rotoren für Windkraftanlagen 65 Prozent der globalen Exporte auf die EU (siehe Grafik 15).

Grafik 14

Auch bei Wasserkraft- und Pumpspeicherwerken verfügt sie über eine starke Exportposition. Ebenso hat sie hohe Weltmarktanteile in wichtigen Industriebranchen, etwa bei der Produktion von „grünem Stahl“ durch Verfahren wie die wasserstoffbasierte Direktreduktion (HDRI) oder bei Elektroantrieben. Ähnlich wichtig sind die hohen Exportanteile bei Wärmepumpen, den Energie-Managementsystemen (EMS) für Stromnetze, bei Dämmstoffen und Fertiggebäuden.49Joint Research Centre: European Climate Neutral Industry Competitiveness Scoreboard 2022, European Union 2023: https://publications.jrc.ec.europa.eu/repository/handle/JRC134503

Viele andere Länder indes sind Nettoimporteure dieser wichtigen Güter und haben ein Handelsdefizit bei den Klimatechnologien. Dies betrifft nicht nur Industrieländer, deren Regierungen die Förderung der Dekarbonisierung vernachlässigt haben, sondern vor allem viele Schwellenländer. Der IWF schätzt, dass rund 70 Prozent der Exporte von Niedrigemissionstechnologien auf Hocheinkommensländer entfallen.50IMF: Data for a greener world: A guide for practitioners and policymakers, International Monetary Fund, Washington 2023, S. 169: https://www.imf.org/en/Publications/Books/Issues/2023/04/04/Data-for-a-Greener-World-A-Guide-for-Practitioners-and-Policymakers-522462 Je höher aber der Bedarf nach diesen Gütern wird, umso größer das Risiko anschwellender Defizite in den importabhängigen Ländern.

„Grüne Handelskriege“: EU gegen Local-Content-Auflagen

Die Europäische Union hat einige aus Klimaschutzperspektive zweifelhafte Verfahren vor dem Schiedsgericht der WTO angestrengt. Im Jahr 2011 etwa verklagte sie Kanada, weil die Provinz Ontario ihre Einspeisevergütung für grünen Strom mit sogenannten Local-Content-Auflagen für die Energieerzeuger verknüpft hatte, die einen bestimmten Prozentsatz der Verwendung lokaler Produkte vorschrieben. Die EU betrachtete die Subvention aufgrund dieser Auflagen als Diskriminierung gegenüber europäischen Anbietern. Ihre WTO-Klage war erfolgreich und Ontario musste die Lokalisierungsauflagen 2014 beseitigen.51WTO: DS 426: Canada – Measures Relating to the Feed-in Tariff Program: https://www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/cases_e/ds426_e.htm

Dies ist umso bitterer, als die Auflagen Ontarios durchaus erfolgreich waren, sowohl im Hinblick auf die Klimawirksamkeit als auch die Beschäftigungseffekte. Zudem wurden ausländische Firmen nicht vom kanadischen Markt ausgeschlossen: Einen Großauftrag für den Bau von Wind- und Solaranlagen in Ontario hatte ein südkoreanisches Konsortium unter Führung von Samsung erhalten.52Public Citizen/Sierra Club: Ontario’s Feed-in Tariff: Will the WTO Trump Climate Imperatives?, Juni 2013: https://www.citizen.org/wp-content/uploads/ontario-feed-in-tariff-briefing-paper.pdf

Im März 2022 begann die EU ein weiteres WTO-Streitschlichtungsverfahren, um gegen die Local-Content-Auflagen der Differenzverträge vorzugehen, mit denen Großbritannien die Erzeuger erneuerbarer Energien subventioniert. Diese Auflagen würden vor allem die EU-Anbieter von Windkraftanlagen diskriminieren, so die Europäische Kommission.53European Commission: EU challenges discriminatory practices of UK’s green energy subsidy scheme at WTO, Brüssel, 28.3.2022: https://policy.trade.ec.europa.eu/news/eu-challenges-discriminatory-practices-uks-green-energy-subsidy-scheme-wto-2022-03-28_en Bereits während der ersten Phase des Verfahrens – den WTO-Konsultationen – willigte die britische Regierung ein, die Lokalisierungsvorschriften zu streichen. Die Kommission verkündete im Gegenzug, dass eine Fortsetzung des WTO-Verfahrens nicht mehr erforderlich sei, wenn die britische Regierung die Vereinbarung umsetzt.54European Commission: EU and UK agree on way forward in WTO dispute concerning UK’s green energy subsidy scheme, Brüssel, 1.7.2022: https://policy.trade.ec.europa.eu/news/eu-and-uk-agree-way-forward-wto-dispute-concerning-uks-green-energy-subsidy-scheme-2022-07-01_en

Als die USA schließlich im August 2022 ihren Inflation Reduction Act (IRA) verabschiedeten, der Steuererleichterungen und Subventionen über mehrere hundert Milliarden Dollar für die grüne Transformation und erneuerbare Energien vorsieht, drohten EU-Vertreter*innen ebenfalls mit einem WTO-Verfahren.55Jorge Valero: EU broadens concerns on subsidies in Biden’s climate law, 30.9.2022: https://news.yahoo.com/eu-broadens-concerns-subsidies-biden-095638376.html Denn auch der IRA schreibt Local-Content-Auflagen vor, wenn Firmen für Produkte wie E-Autos, Batterien, Windkraft- oder Solaranlagen die Steuervergünstigungen in Anspruch nehmen wollen. In der EU wurden Befürchtungen laut, diese Subventionen könnten die Verlagerung von Firmen und Investitionen in die USA zur Folge haben.

Und so stimmten in den Chor derer, die eine WTO-Klage forderten, diverse Think Tanks und Politiker*innen ein, darunter das Brüsseler Institut Bruegel und der Vorsitzende des Handelsausschusses im Europaparlament, Bernd Lange.56David Kleimann et al.: How Europe should answer the US Inflation Reduction Act, Bruegel, Policy Contribution 4/23, Februar 2023: https://www.bruegel.org/sites/default/files/2023-02/PB%2004%202023_0.pdf; Tagesschau: EU-Ausschuss-Chef für WTO-Klage, 4.12.2022: https://www.tagesschau.de/ausland/europa/eu-usa-subventionen-101.html Manche Medien interpretierten den euro-amerikanischen Streit als Zeichen heraufziehender „grüner Handelskriege“ um die Vorherrschaft bei den neuen klimaschonenden Technologien und Herstellungsverfahren.57Faisal Islam: The green trade row dividing the Davos elite, BBC News, 16.1.2023: https://www.bbc.com/news/business-64296229

Derweil waren zivilgesellschaftliche Organisationen beiderseits des Atlantiks alarmiert angesichts der Gefahr einer weiteren EU-Klage gegen Klimamaßnahmen. In einem gemeinsamen Brief an die EU-Kommission und die US-Regierung forderten 40 Organisationen von der EU, auf handelspolitische Maßnahmen gegen den IRA zu verzichten. Stattdessen sollten die USA und die EU sich zu einer Klimafriedensklausel (Climate Peace Clause) verpflichten, das heißt auf einen Verzicht von Schiedsverfahren in Handels- oder Investitionsabkommen gegen Klimaschutzgesetze anderer Staaten.58Fabian Flues: EU and U.S. Advocates Call on EU to Stand Down on Threats to Inflation Reduction Act, PowerShift, 5.3.2023: https://power-shift.de/pm-inflation-reduction-act/

Zudem zeigen Untersuchungen, dass sich die Subventionen der EU für die grüne Transformation zwar in der Struktur, aber weniger in der Höhe von denen der USA unterscheiden. In manchen Bereichen, wie den erneuerbaren Energien, sind sie sogar weit höher als in den USA, wie der deutsch-französische Rat der Wirtschaftssachverständigen feststellt.59Camille Landais et al.: The Inflation Reduction Act: How should the EU react? Franco-German Council of Economic Experts, Joint Statement, September 2023: https://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/en/start/news/the-inflation-reduction-act-how-should-the-eu-react.html Die Ökonom*innen kommen zu dem Schluss, der IRA werde kaum Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie haben. Hingegen könne das Gesetzespaket die dringend erforderliche klimafreundliche Transformation in der US-Industrie wesentlich vorantreiben.60Camille Landais et al.: The Inflation Reduction Act: How should the EU react? Franco-German Council of Economic Experts, Joint Statement, September 2023: https://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/en/start/news/the-inflation-reduction-act-how-should-the-eu-react.html

Hinzu kommt: Auch in der EU gibt es diverse Programme und Auflagen, die gezielt lokale Anbieter fördern. In Reaktion auf den IRA planen die EU und Mitgliedsstaaten wie Deutschland zudem diverse weitere Gesetzesvorhaben, die über Lokalisierungsauflagen die örtliche Industrie stützen sollen (siehe Box 3).

Da die EU mithin selbst auf spezifische Förderinstrumente für lokale Anbieter zurückgreift, ist ihre strikte Ablehnung von Local-Content-Auflagen fragwürdig. Sie legt in dieser Hinsicht erkennbar Doppelstandards an. Zudem integriert sie Verbote von Lokalisierungsauflagen auch in ihre bilateralen Handelsabkommen. Damit aber behindert sie den Aufbau von Produktionskapazitäten für grüne Technologien im Ausland.61Laurens Ankersmit/Enrico Partiti: Alternatives for the ‚Energy and Raw Materials Chapters‘ in EU trade agreements – an inclusive approach, PowerShift, Berlin, Mai 2020: https://power-shift.de/wp-content/uploads/2020/05/Alternatives-for-the-Raw-materials-and-Energy-Chapters-in-EU-trade-agreements-web.pdf Schließlich können Local-Content-Auflagen – wenn sie in realistische Entwicklungsstrategien eingebettet sind – auch ein probates Mittel für wirtschaftlich schwächere Länder sein, die ihren Rückstand bei klimaschonenden Produkten zu überwinden versuchen.62UNCTAD: Local Content Requirements and the Green Economy, Genf 2014: https://unctad.org/publication/local-content-requirements-and-green-economy

Box 3
Geplante Lokalisierungsmaßnahmen in der EU

Die EU und die Mitgliedsstaaten planen diverse neue Initiativen, um die lokale Industrie zu unterstützen. Der Net Zero Industry Act (NZIA) – eine EU-Antwort auf den Inflation Reduction Act der USA – sieht etwa vor, dass mindestens 40 Prozent des Bedarfs an Klimatechnologien in der EU hergestellt werden, wobei fast 90 Prozent des Batteriebedarfs aus EU-Produktion stammen soll.63European Commission: Proposal for a REGULATION OF THE EUROPEAN PARLIAMENT AND OF THE COUNCIL on establishing a framework of measures for strengthening Europe’s net-zero technology products manufacturing ecosystem (Net Zero Industry Act), Brüssel, 16.3.2023: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX%3A52023PC0161 Diese Ziele sind vor allem in der Solar- und Batterieindustrie eine große Herausforderung.64Giovanni Sgaravatti et al.: EU’s 40% domestic cleantech ambition: same target for wind (easy) and solar (hard) doesn’t make sense, Energypost, 12.6.2023: https://energypost.eu/eus-40-domestic-cleantech-ambition-same-target-for-wind-easy-and-solar-hard-doesnt-make-sense/

Im Solarbereich planen die EU-Mitglieder derzeit, bei öffentlichen Ausschreibungen die Subventionsvergabe zu steigenden Anteilen an sogenannte Resilienzkriterien zu koppeln, die u.a. die Verwendung europäischer Solarzellen begünstigen.65Jonathan Packroff: EU countries want to continue using green tech from China, Euractiv, 8.12.2023: https://www.euractiv.com/section/economy-jobs/news/eu-countries-want-to-continue-using-green-tech-from-china/ Im Vorgriff auf die EU-Regelung setzt sich Wirtschaftsminister Habeck in Deutschland für einen „Resilienzbonus“ ein, der eine höhere Stromeinspeisevergütung für solche Solaranlagen gewährt, die deutsche oder europäische Komponenten verwenden.66Andreas Niesmann: Habeck will deutsche Solarhersteller mit ‚Resilienzbonus‘ gegen China-Hersteller stärken, RND, 17.12.2023: https://www.rnd.de/wirtschaft/resilienzbonus-habeck-will-deutsche-solar-hersteller-gegen-china-konkurrenz-staerken-Z5TFDQ5FN5FFDIL6SXX5PNIE54.html

In den geplanten EU-Vorschriften für künftige Windkraft-Auktionen sind ebenfalls Lokalisierungs-Auflagen in Vergabekriterien wie der „Energiesystem-Integration“ und der „Resilienz der Lieferketten“ versteckt.67Eduardo Garcia: EU turbine factory growth hangs on permitting action, Reuters, 30.11.2023: https://www.reuters.com/business/energy/eu-turbine-factory-growth-hangs-permitting-action-2023-11-30/; European Commission: European Wind Power Action Plan, Brüssel, 24.10.2023: https://energy.ec.europa.eu/publications/european-wind-power-action-plan_en Ähnliche Ziele sind im Critical Raw Materials Act vorgesehen, einer weiteren europäischen IRA-Antwort. Danach sollen ebenfalls 40 Prozent des EU-Bedarfs an strategischen Rohstoffen in der EU verarbeitet werden.68European Commission: Critical Raw Materials: ensuring secure and sustainable supply chains for EU’s green and digital future, Brüssel, 16.3.2023: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_23_1661

EU gegen grüne Subventionen anderer Staaten

Wie vor allem am Inflation Reduction Act deutlich wurde, ist der Kampf der EU gegen Local-Content-Auflagen auf das Engste mit staatlichen Subventionen für die grüne Transformation verknüpft. Auch auf diesem Gebiet wird die Europäische Kommission immer häufiger tätig, wenn Beihilfen anderer Staaten die Absatzmöglichkeiten europäischer Hersteller auf ihren Binnen- oder Auslandsmärkten beeinträchtigen könnten. Diese Maßnahmen richten sich nicht nur gegen finanziell potente Staaten wie die USA und zunehmend China, sondern auch gegen wirtschaftlich schwächere Länder.

Im Jahr 2013 verhängte die EU Anti-Dumping- und Ausgleichszölle auf den Import von Solarzellen aus China, Taiwan und Malaysia, da diese durch staatliche Subventionen den hiesigen Markt verzerren würden, so der damalige Vorwurf. Die Maßnahme, die kurze Zeit später durch einen Mindestimportpreis ersetzt wurde, schadete jedoch den Zweigen der europäischen Solarindustrie, die auf die günstigen asiatischen Vorprodukte angewiesen sind. Verarbeiter und Installateure in der Solarbranche litten an Verknappung und Verteuerung der Module, was wiederum die Energiewende behinderte. Im Jahr 2018 schließlich hob die EU diese handelsbeschränkende Maßnahme auf.69Christiane Kühl: Solarschwemme aus China: Große Teile der Branche lehnen Strafzölle ab, Frankfurter Rundschau, 18.12.2023: https://www.fr.de/wirtschaft/eu-strafzoelle-arbeitsplaetze-photovoltaik-solarzellen-china-fotovoltaik-solarschwemme-zr-92721729.html

Im September 2023 startete die EU-Kommission eine Untersuchung der chinesischen Subventionen für E-Autos, die gleichfalls zu Ausgleichszöllen auf EU-Importe führen könnten. Auch wenn manche Nichtregierungsorganisationen diese Maßnahme aus industriepolitischen Gründen begrüßen70Siehe etwa: William Todts: How German auto arrogance brought about Europe’s Kodak moment, Transport & Environment, 29.9.2023: https://www.transportenvironment.org/discover/how-german-auto-arrogance-brought-about-europes-kodak-moment, bleibt dennoch ein Risiko, dass sie die Transformation der europäischen Autoindustrie bremsen könnte.

Denn vor allem die deutschen Autohersteller produzieren nicht nur bei Verbrennern, sondern auch bei Elektroautos deutlich mehr große, schwere und energetisch ineffiziente Modelle als ihre chinesischen Konkurrenten.71IEA: Global EV Outlook 2023 – Catching up with climate ambitions, International Energy Agency, 2023: https://www.iea.org/reports/global-ev-outlook-2023 Die Mehrheit der chinesischen E-Auto-Modelle hingegen kommt mit kleineren Batterien aus, die klimaschonender sind als viele der schweren Batterien europäischer Wagen, vor allem solange der Strommix noch nicht vollständig dekarbonisiert ist.72Benjamin Gehrs: Size Matters – Wie gehen die 30 Top-Automarken in Europa mit Ressourcen um? Greenpeace, 8/2023: https://presseportal.greenpeace.de/229452-greenpeace-vergleicht-wirtschaftlichkeit-deutsche-automarken-schneiden-besonders-schlecht-ab

Noch bedenklicher allerdings ist, dass die EU die internationalen Handelsregeln über zulässige Subventionen verschärfen will. Gemeinsam mit den USA und Japan entwarf sie Vorschläge, die den Spielraum für WTO-konforme Subventionen weiter einengen sollen. Das Trio will dazu das WTO-Abkommen über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen (Agreement on Subsidies and Countervailing Measures – ASCM) um mehrere Kategorien verbotener Beihilfen ergänzen.73USTR: Joint Statement of the Trilaterale Meeting of the Trade Ministers of Japan, the United States and the European Union, United States Trade Representative, 14.1.2020: https://ustr.gov/about-us/policy-offices/press-office/press-releases/2020/january/joint-statement-trilateral-meeting-trade-ministers-japan-united-states-and-european-union

Zwar ist diese Initiative in erster Linie gegen China gerichtet, sie trifft jedoch auch alle wirtschaftlich schwächeren Länder, die mit staatlicher Unterstützung die Entwicklung von Niedrigemissionstechnologien fördern möchten. Sie ist auch vor dem Hintergrund problematisch, dass das ASCM keinerlei Ausnahmen für umweltpolitisch notwendige Subventionen kennt.74David Kleimann: Climate versus trade? Reconciling international subsidy rules with industrial decarbonisation, Bruegel, Policy Contribution 2/2023: https://www.bruegel.org/policy-brief/climate-versus-trade-reconciling-international-subsidy-rules-industrial

Gegen diese Einengung ihrer Gestaltungspielräume wehrte sich u.a. die Gruppe der Afrikanischen Länder. In einem Dokument an die WTO-Mitglieder forderte sie im Mai 2023 eine umfassende Reform des ASCM, die wirtschaftlich schwächeren Ländern die nötige Flexibilität einräumt, um mit staatlichen Subventionen und Local-Content-Auflagen den Aufbau grüner Industrien und die Integration in klimafreundliche Lieferketten zu fördern. In der jetzigen Form sei das ASCM für die globalen Herausforderungen ungeeignet. Bei seiner Verabschiedung hätten die Staaten „das Ausmaß der Klimakrise unterschätzt“.75African Group: A CASE FOR REBALANCING THE AGREEMENT ON SUBSIDIES AND COUNTERVAILING MEASURES (ASCM) – POLICY SPACE TO PROMOTE INDUSTRIALISATION IN DEVELOPING COUNTRIES, Communication from the African Group, 22.5.2023, WTO, WT/GC/W/880

Unilaterale Handelsinstrumente: nicht immer klimagerecht

Die EU-Handelspolitik übt nicht nur mit ihren Aktivitäten auf bilateraler und multilateraler Ebene erheblichen Einfluss auf die Erderhitzung aus, sondern auch mit einigen ihrer unilateral ergriffenen Maßnahmen. Unter den autonomen handelspolitischen Instrumenten, die die EU in jüngster Zeit verabschiedet hat, sind der Grenzausgleich CBAM (Carbon Border Adjustment Mechanism) und die Entwaldungsverordnung von besonderer klimapolitischer Bedeutung. Beide Instrumente haben vor allem in Ländern des Südens einige Kritik auf sich gezogen, weil ihre Folgen für dortige Produzent*innen nicht angemessen adressiert worden seien, so der Vorwurf. Doch auch im Hinblick auf ihre Wirksamkeit für den Klimaschutz sind beide Gesetzesvorhaben verbesserungswürdig.

CBAM: Verlagerungsschutz auf Kosten armer Länder?

Zu den international besonders umstrittenen Klimainitiativen der EU-Handelspolitik gehören Maßnahmen, die auf einen Außenschutz für die europäische Industrie abzielen, da diese künftig in stärkerem Maße von einem steigenden CO2-Preis des EU-Emissionshandelssystems (EHS) betroffen sein könnte. Denn die EU hat mit ihrem Fit-for-55-Paket beschlossen, die freie Zuteilung von Emissionszertifikaten an die energieintensive Industrie bis 2034 schrittweise bis auf Null abzuschmelzen. Die Gratiszertifikate sind eines der Instrumente (neben diversen Subventionen vor allem der Industriestrompreise), die verhindern sollen, dass emissionsintensive Produktionsprozesse in Länder mit schwächeren Klimaauflagen ausgelagert werden – das sogenannte „Carbon Leakage“.76Sean Healy et al.: Introduction of a Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) in the EU, Umweltbundesamt, 30.5.2023: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/11850/publikationen/cbam_factsheet_0.pdf

In dem Maße, in dem die Gratiszertifikate abgeschmolzen werden, steigen jedoch die Produktionskosten der betroffenen Branchen, so dass ihre Wettbewerbsfähigkeit möglicherweise leiden könnte. Als Kompensation hat die EU daher die Einführung eines CO2-Grenzausgleichs beschlossen, d.h. eine Importabgabe auf emissionsintensive Güter. Dieser sogenannte Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) erfasst zunächst fünf Produktgruppen (Eisen und Stahl, Aluminium, Zement, Düngemittel, Wasserstoff) sowie Strom.

Seit Oktober 2023 unterliegen Importeure Berichtspflichten über die Einführung dieser Produkte, ab 2026 müssen sie zusätzlich CBAM-Zertifikate erwerben, deren Preis sich am CO2-Preis des EU-EHS orientiert. Die Menge der zu erwerbenden Zertifikate hängt von der Emissionsintensität der importierten Güter sowie den Gratiszertifikaten ab. Je weniger Gratiszertifikate die EU der europäischen Industrie zuteilt, umso größer die Zahl der CBAM-Zertifikate, die Importeure erwerben müssen.77European Commission: Carbon Border Adjustment Mechanism: https://taxation-customs.ec.europa.eu/carbon-border-adjustment-mechanism_en

Importeure können unter Umständen einen Abzug vom CBAM-Preis beantragen, sollte für die einzuführenden Güter bereits im Herstellungsland ein CO2-Preis gezahlt worden sein, etwa im Rahmen eines Emissionshandelssystems oder einer CO2-Steuer. Da es bisher erst in 39 Ländern nationale CO2-Preise gibt – darunter die 30 Teilnehmer des EU-Emissionshandelssystems – kann jedoch für den Großteil der Exportländer, darunter auch die USA, ein solcher Abzug nicht geltend gemacht werden.78Es gibt daneben noch auf subnationaler Ebene von Bundesstaaten oder Provinzen verschiedene Systeme der CO2-Bepreisung (etwa in den USA, Kanada, Mexiko, China und in mehreren EU-Ländern), siehe: The World Bank: Carbon Pricing Dashboard: https://carbonpricingdashboard.worldbank.org/ Hinzu kommt, dass die CO2-Preise der verschiedenen nationalen Systeme in der Höhe extrem unterschiedlich ausfallen. In Chinas Emissionshandelssystem etwa schwankte er im vergangenen Jahr um die 8 Euro, im europäischen um die 80 Euro. Der Abzug wäre also entsprechend gering.79Hanh Duong et al.: Unveiling Carbon Border Adjustment (CBAM) Challenges: The Potential Dispute Between China and EU, The SAIS Review of International Affairs, 24.7.2023: https://saisreview.sais.jhu.edu/unveiling-carbon-border-adjustment-mechanism-cbam-challenges-the-potential-dispute-between-china-and-eu/

Die Weltbank entwickelte einen Index, um die Länder zu identifizieren, deren Exporte am stärksten von der CBAM-Abgabe betroffen sind (siehe Grafik 16). Der Index gewichtet die Betroffenheit anhand der Emissionsintensität der von CBAM erfassten Sektoren sowie der Abhängigkeit der Produktionsländer von der EU als Absatzmarkt.

Grafik 16

Deutlich wird, dass Exporteure aus wirtschaftlich schwächeren Ländern am stärksten von CBAM betroffen sein werden. Zimbabwe führt die Liste an, da seine Eisen- und Stahlproduktion sehr emissionsintensiv ist und das Land 87 Prozent seiner Exporte in der EU absetzt. In der Ukraine sind die Zement- und Stahlindustrie die am stärksten betroffenen Sektoren; in Georgien trifft es vor allem die Düngerherstellung und in Mosambik die Aluminiumproduktion.80The World Bank: Relative CBAM Exposure Index, 15.6.2023: https://www.worldbank.org/en/data/interactive/2023/06/15/relative-cbam-exposure-index

Es ist daher wenig überraschend, dass der CBAM unter den betroffenen Ländern starke Kritik ausgelöst hat. Viele äußern Zweifel an seiner WTO-Konformität.81Oliver Rumble/Andrew Gilder: WTO review of EU trade policies highlights significant unease about CBAM, African Climate Wire, 13.6.2023: https://africanclimatewire.org/2023/06/wto-review-of-eu-trade-policies-highlights-significant-unease-about-cbam/ Indien plant gar, mit einer WTO-Klage gegen den Grenzausgleich vorzugehen.82Manoj Kumar/Neha Arora: India plans to challenge EU carbon tax at WTO, Reuters, 16.5.2023: https://www.reuters.com/world/india/india-plans-challenge-eu-carbon-tax-wto-sources-2023-05-16/ Bei der Klimakonferenz in Dubai Ende 2023 forderten Brasilien, Südafrika, Indien und China in einer gemeinsamen Eingabe, dass gegen das Handelsrecht verstoßende unilaterale Maßnahmen, wie ein CO2-Grenzausgleich, kollektiv abgelehnt werden sollten. Solche Initiativen würden zudem gegen das Prinzip der „gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung“ von Industriestaaten und wirtschaftlich schwächeren Ländern für den Klimawandel verstoßen.83Zia Weise: Brazil’s anger over EU carbon tax infiltrates COP28, Politico, 5.12.2023: https://www.politico.eu/article/brazil-anger-eu-carbon-tax-infiltrates-cop28-luiz-ignazio-lula-da-silva-china-india-south-africa/

Auch wenn es grundsätzlich sinnvoll ist, die Verlagerung von CO2-Emissionen in Länder mit schwachen Umweltauflagen zu verhindern, verweist der Protest der Betroffenen dennoch auf Schwächen des CBAM. So fehlt eine Kopplung des Grenzausgleichs an konkrete Hilfen für finanzschwache Länder, um die Dekarbonisierung ihrer betroffenen Industrien zu unterstützen.

Doch nicht nur die Modernisierung von Industrieanlagen ist überaus teuer. Auch die Einführung von Systemen der CO2-Bepreisung, um CBAM-Abgaben zu vermindern, erfordert erhebliche Ressourcen. Das gleiche gilt für die Ermittlung der Emissionsintensität der betroffenen Produktionsstätten und deren Verifizierung durch Audits. Schließlich gibt es keine CBAM-Ausnahme für die Gruppe der ökonomisch schwächsten Länder, die „Least Developed Countries“, denen die EU bisher zollfreien Zugang auf den EU-Markt gewährt hat.84Samuel Pleeck/Ian Mitchell: The EU’s carbon border tax: How can developing countries respond? Center for Global Development, 15.11.2023: https://www.cgdev.org/blog/eus-carbon-border-tax-how-can-developing-countries-respond

Auf der anderen Seite generiert die EU zusätzliche Einnahmen durch das Abschmelzen der Gratiszertifikate und die Einkünfte aus den CBAM-Zertifikaten. Diese Zusatzeinnahmen könnten – je nach Höhe des CO2-Preises, der Emissionsintensität der Importe und der Menge der noch verfügbaren Gratiszertifikate – im Jahr 2030 zwischen 9 und 14 Milliarden Euro betragen, so die eher konservativen Schätzungen der Kommission.85European Commission: COMMISSION STAFF WORKING DOCUMENT IMPACT ASSESSMENT REPORT Accompanying the document Proposal for a regulation of the European Parliament and of the Council establishing a carbon border adjustment mechanism, Brüssel, 14.7.2021, SWD(2021) 643 final: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=celex%3A52021SC0643 Bei einem weiter steigenden CO2-Preis werden ab Ende der 2030er Jahre auch über 80 Milliarden Euro jährlich für möglich gehalten.86S&P Global: EU Carbon Border Adjustment Mechanism to raise up to $80b per year by 2040, 24.2.2023: https://www.spglobal.com/esg/insights/featured/special-editorial/eu-carbon-border-adjustment-mechanism-to-raise-80b-per-year-by-2040

Schließlich – und das wird oft übersehen – gewinnt die energieintensive europäische Industrie perspektivisch an Wettbewerbsfähigkeit dank CBAM und den vielfältigen staatlichen Subventionen für ihre Dekarbonisierung, seien es Investitionsbeihilfen, Kreditgarantien oder gedeckelte Strompreise. Denn je klimafreundlicher die Produkte und Verfahren der europäischen Industrie werden, umso größer die Absatzchancen auf den neuen grünen Märkten. Aus diesem Grund prognostizieren immer mehr Studien, dass CBAM der EU Handels- und Wohlfahrtsgewinne bringen wird, während viele wirtschaftlich schwächere Länder mit Verlusten rechnen müssen.87Timothé Beaufils et al.: Assessing different European Carbon Border Adjustment Mechanism implementations and their impact on trade partners, Communications Earth & Environment, 4, 131, 23.4.2023: https://www.nature.com/articles/s43247-023-00788-4; UNCTAD: A European Union Carbon Border Adjustment Mechanism: Implications for developing countries, Genf 2021: https://unctad.org/publication/european-union-carbon-border-adjustment-mechanism-implications-developing-countries

Entwaldungsverordnung: Weiter Weg zu effektiver Durchsetzung

Mit ihren Importen trägt die EU massiv zur globalen Entwaldung bei, dies vor allem in tropischen Ländern. Allein im Zeitraum 2005 bis 2017 importierte die EU Agrargüter wie Soja, Palmöl, Rindfleisch und Holz, für deren Produktion alljährlich tropische Wälder in der Größenordnung von rund 280.000 Hektar gerodet worden waren (siehe Grafik 17).

Grafik 17

Die Entwaldung für den EU-Konsum summierte sich in dem Zeitraum auf über 3,5 Millionen Hektar – ein Zehntel der Fläche Deutschlands. 21 Prozent der gesamten tropischen Entwaldung gingen in dem Zeitraum auf das Konto der EU, die allein damit 1,8 Milliarden Tonnen Kohlendioxidemissionen verursachte.88Béatrice Wedeux/Anke Schulmeister-Oldenhove: Stepping up? The Continuing Impact of EU Consumption on Nature Worldwide, WWF, April 2021: https://www.wwf.eu/?2965416/Stepping-up-The-continuing-impact-of-EU-consumption-on-nature

Um diesem Missstand zu begegnen, hat die EU eine Entwaldungsverordnung beschlossen, die Ende Juni 2023 in Kraft getreten ist. Ab 2025 müssen alle Importeure einer Reihe von landwirtschaftlichen Rohstoffen nachweisen, dass diese nicht von zuvor entwaldeten Flächen stammen oder mit Waldschädigung im Zusammenhang stehen. Zu diesen Rohstoffen gehören Soja, Palmöl, Rindfleisch, Kaffee, Kakao, Kautschuk, Holz und einige weiterverarbeitete Produkte wie Leder, Schokolade, Reifen, Papier oder Möbel. Die Herkunftsnachweise müssen mithilfe von Geolokalisierung den genauen Ursprung dieser Rohstoffe zurückverfolgen lassen. Mit dieser Maßnahme hofft die EU, die durch Produktion und Konsum dieser Güter verursachten CO2-Emissionen um 32 Millionen Tonnen pro Jahr mindern zu können.89European Commission: Regulation on Deforestation-free Products: https://environment.ec.europa.eu/topics/forests/deforestation/regulation-deforestation-free-products_en

Bild von Entwaldung

Bild: Matt Palmer / Unsplash.com

Ob die Entwaldungsverordnung allerdings tatsächlich zu Fortschritten beim Klimaschutz führt, hängt von mehreren Faktoren ab – etwa, ob es gelingt, effektive Partnerschaftsabkommen mit waldreichen Ländern zu schließen. Diese müssten diverse unbeabsichtigte Nebenwirkungen ausschließen und den erforderlichen Kapazitätsaufbau in waldreichen Exportländern auch finanziell unterstützen.

Eines der großen Risiken der Verordnung besteht in ihrer Beschränkung auf Wälder. Zwar könnte sie den Waldschutz durchaus verbessern, doch führt dies womöglich zu Ausweichbewegungen in andere sensible Ökosysteme. So könnten zusätzliche Äcker und Weiden durch Rodungen in Trockenwaldsavannen, Feuchtgebieten oder Mooren erschlossen werden. Dieses Risiko ist hoch, da laut der Verordnung zunächst innerhalb eines Jahres nach ihrem Inkrafttreten die Ausweitung auf waldähnliche Flächen und nach zwei Jahren auf andere Ökosysteme überprüft werden soll. Ob diese Flächen dann tatsächlich in den Anwendungsbereich aufgenommen werden und wann dies geschehen könnte, ist jedoch offen. Diese Lücke ist fatal, da Savannen, Feuchtgebiete und Moore ebenfalls wichtige CO2-Speicher sind.90Fern: What is the EU Regulation on deforestation-free products and why should you care? Brüssel, 2023: https://www.fern.org/publications-insight/what-is-the-eu-regulation-on-deforestation-free-products-and-why-should-you-care/

Ein weiteres Risiko besteht darin, dass erst fünf Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung die Auswirkungen auf Kleinbäuer*innen untersucht werden sollen. Die Beteiligung kleinbäuerlicher Betriebe an der Produktion der waldgefährdenden Exportgüter ist unterschiedlich groß, je nachdem welches Produkt betrachtet wird. Bei Sojaexporten aus dem Mercosur etwa spielen sie eine geringe Rolle, da hier große Plantagen des Agrobusiness die Exporte in die EU dominieren. Höher indes ist ihr Anteil bei Rindfleisch aus Brasilien, Palmöl aus Indonesien und Malaysia, Kakao aus Ghana und der Elfenbeinküste oder Kaffee aus Vietnam und Brasilien. Auf Kleinbäuer*innen entfallen 25 bis 30 Prozent der globalen Produktion von Palmöl, 60 Prozent des Kaffees und 95 Prozent des Kakaos.91Solidaridad: Palmoil Barometer 2022: https://www.solidaridadnetwork.org/wp-content/uploads/2022/09/Palm-Oil-Barometer-2022_solidaridad.pdf; Forum nachhaltiger Kakao: Cocoa Producing Countries: https://www.kakaoforum.de/en/news-service/country-profiles/cocoa-producing-countries/; Fairtrade: Realistic and fair prices for coffee farmers are a non-negotiable for the future of coffee, 1.8.2023: https://www.fairtrade.net/news/realistic-and-fair-prices-for-coffee-farmers-are-a-non-negotiable-for-the-future-of-coffee

Allein in den acht wichtigsten Exportländern der von der Entwaldungsverordnung erfassten Güter könnten 2,8 Millionen Kleinbäuer*innen durch deren Anforderungen direkt betroffen sein.92Eline Blot/Nora Hiller: Securing the position of smallholders in zero-deforestation supply chains, Briefing, Institute for European Environmental Policy, Oktober 2022: https://ieep.eu/wp-content/uploads/2022/11/Securing-the-position-of-smallholders-in-zero-deforestation-supply-chains-IEEP-2022-1.pdf Herkunftsnachweise, Geolokalisierung und Zertifizierung übersteigen jedoch meist ihre finanziellen und personellen Möglichkeiten. Verlieren sie daraufhin ihre Absatzmöglichkeiten in der EU, müssen sie ihre Produkte auf anderen schwächer regulierten Märkten verkaufen. Oder sie gehen in ihrer Not alternativen Tätigkeiten nach, die zu Entwaldung führen: Kultivierung weniger streng kontrollierter Agrarprodukte, illegaler Holzhandel oder Kleinbergbau. Die EU hätte dann zwar ihre eigenen Zulieferketten bereinigt, die entwaldungsbedingten Emissionen würden aber dennoch steigen.93Solidaridad/CPOPC/MVO: Implications of the EU Deforestation Regulation (EUDR) for oil palm smallholders, Briefing Paper, 12.4.2023: https://www.solidaridadnetwork.org/wp-content/uploads/2023/04/Briefing-paper-EUDR-and-palm-oil-smallholders.pdf; Fairtrade International: A just transition for cocoa and coffee smallholders to access a deforestation-free and forest degradation-free European market, Februar 2022: https://files.fairtrade.net/Fairtrade_position_and_recommendations_deforestation_regulation.pdf

Nicht zuletzt beeinträchtigen auch die Handelsabkommen der EU die Wirksamkeit der Entwaldungsverordnung. Sollte es etwa zum Abschluss des EU-Abkommens mit dem Mercosur kommen, würde es die Nachfrage nach waldgefährdenden Produkten wie Rindfleisch oder Soja ankurbeln, den Anreiz zur Erschließung weiterer Weide- und Ackerflächen durch Rodungen erhöhen und einen Erfolg der Entwaldungsverordnung untergraben. Allein das geplante EU-Mercosur-Abkommen zeigt insofern, dass die klimapolitische Kohärenz der einzelnen handelspolitischen Instrumente der EU zu Recht in Frage steht.

Bild von Waldbrand mit Löschflugzeug

Bild: Yuri Meesen / Pexels.com

Europäische Auslandsinvestitionen: fehlende Lenkung

Die EU-Handelspolitik weist auch im Bereich der ausländischen Investitionen erhebliche Blindstellen auf, die den globalen Klimaschutz schwächen. Dies gilt sowohl in Bezug auf die in ihren Handelsabkommen enthaltenen Regelungen zur Liberalisierung von Investitionen als auch auf den Investitionsschutz. So werden die von der EU angestrebten Liberalisierungen nicht an eine vorherige Prüfung der Klimafolgen ausländischer Investitionen gekoppelt. Aufgrund dieser Regulierungslücke befördert die EU das Risiko teurer Fehlinvestitionen in fossile Infrastrukturen. Die Investitionsschutzregeln wiederum ermöglichen ausländischen Investor*innen den exklusiven Zugang zu internationalen Schiedstribunalen, die im Klagefall die Kosten fortschrittlicher Klimagesetzgebung erheblich steigern können – und mitunter auch zur Absage geplanter Vorhaben führen.

Investitionsliberalisierung:
Fehlanreize begünstigen „Stranded Assets“

Das zentrale Problem der EU-Handelsabkommen im Bereich der Investitionen ist, dass sie nahezu vollständig vom Charakter der jeweiligen Vorhaben und ihren Klimafolgen absehen. Denn noch immer investieren in der EU ansässige Konzerne Milliarden-Summen in die Erkundung, die Ausbeutung und den Handel mit fossilen Energieträgern, darunter auch einige der klimaschädlichsten Projekte der Welt – die sogenannten Kohlenstoffbomben („Carbon Bombs“).94CAN Europe et al.: Defusing Carbon Bombs - How climate due diligence can put an end to European companies' involvement in projects that trigger climate catastrophe, November 2023: https://caneurope.org/carbon-bombs/

So haben EU-Unternehmen in das Öl- und Gasfeld Kaschagan in Kasachstan investiert95Offshore Technology: Oil & gas field profile: Kashagan Conventional Oil Field, Kazakhstan, 1.8.2023: https://www.offshore-technology.com/data-insights/oil-gas-field-profile-kashagan-conventional-oil-field-kazakhstan/?cf-view, in Albertas Ölsande in Kanada96Urgewald: Global Oil & Gas Exit List: Alberta tar sands: https://gogel.org/alberta-tar-sands, in Ölquellen vor der Küste Mexikos97S&P Global: Wintershall Dea makes progress in Mexican shallow waters, 25.5.2023: https://www.spglobal.com/commodityinsights/en/ci/research-analysis/wintershall-dea-makes-progress-in-mexican-shallow-waters.html, in die Tiefsee-Ölvorkommen Brasiliens98Offshore Technology: Brazil: TotalEnergies to invest $1bn in Lapa south-west project, 16.1.2023: https://www.offshore-technology.com/news/brazil-totalenergies-to-invest-1bn-in-lapa-south-west-project/?cf-view oder das Schiefergasgebiet Vaca Muerta in Argentinien.99Urgewald: Global Oil & Gas Exit List: Vaca Muerta: https://gogel.org/vaca-muerta Mit Kasachstan, Kanada und Mexiko hat die EU bereits Handelsabkommen mit Investitionsregeln abgeschlossen, mit Brasilien und Argentinien verhandelt sie darüber. Im Fall von Kanada und Mexiko umfassen diese Regeln neben der Investitionsliberalisierung auch den Investitionsschutz.100Das EU-Kanada-Abkommen CETA wird bereits seit September 2017 vorläufig angewendet. Im Unterschied zur Investitionsliberalisierung treten die Investitionsschutzregeln allerdings erst in Kraft, wenn die nationale Ratifizierung in allen EU-Mitgliedsstaaten abgeschlossen ist, was bisher noch nicht der Fall ist. Siehe: European Council: Comprehensive Economic and Trade Agreement between Canada, on the one part, and the European Union and its Member States, of the other part: https://www.consilium.europa.eu/en/documents-publications/treaties-agreements/agreement/?id=2016017. Das EU-Mexiko-Abkommen befindet sich dagegen noch in der Verhandlung, siehe: European Commission: EU-Mexico Trade Agreement: https://policy.trade.ec.europa.eu/eu-trade-relationships-country-and-region/countries-and-regions/mexico/eu-mexico-agreement_en

Doch statt die Risiken fossiler Investitionen einzudämmen und einen Ausstieg aus dem Handel mit fossilen Energieträgern einzuleiten, beseitigen diese Abkommen mögliche Investitionshemmnisse für die europäische Öl-, Gas- und Kohleindustrie. Dies geschieht sowohl über Verpflichtungen, europäischen Energiekonzernen erleichterten Zugang zu den staatlichen Ausschreibungen von Erkundungs- und Förderrechten zu gewähren als auch über Investitionsregeln, die staatliche Investitionsauflagen einschränken.

Zudem hat die EU in jüngere Handelsabkommen Energie- und Rohstoffkapitel integriert, die gezielte Liberalisierungen im Bergbau- und Energiesektor vorschreiben, einschließlich Kohle, Öl und Gas. Vorläufer dieser Kapitel gibt es bereits in den Handelsabkommen mit Georgien, Moldawien, Ukraine und Kasachstan. Umfassendere Varianten finden sich in den jüngeren Handelsverträgen mit Neuseeland, Chile und Mexiko.101Bettina Müller: Global gerechte grüne Transformation? Die Rolle von Handelsabkommen für die europäische Rohstoffsicherung, PowerShift, Dezember 2023: https://power-shift.de/global-gerechte-gruene-transformation

Sowohl die Investitionsregeln als auch die Energie- und Rohstoffkapitel setzen Fehlanreize, da sie nicht zwischen klimaschonenden und klimaschädigenden Investitionen differenzieren. Vergleichende Untersuchungen zeigen jedoch, dass gerade ausländische Direktinvestitionen mit höheren Treibhausgas-Emissionen einhergehen als inländische Investitionen. Dieses Risiko ist dabei besonders hoch in Schwellenländern, die über geringere Regulierungskapazitäten verfügen als Industriestaaten.102Yanyan Huang et al.: The Impacts of FDI Inflows on Carbon Emissions: Economic Development and Regulatory Quality as Moderators, Frontiers in Energy Research, Volume 9, January 2022: https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fenrg.2021.820596/full; António Cardoso Marques/Rafaela Caetano: The impact of foreign direct investment on emission reduction targets: Evidence from high- and middle-income countries, Structural Change and Economic Dynamics, Vol. 55, 2020, S. 107-118: https://doi.org/10.1016/j.strueco.2020.08.005

Grundsätzlich sind Direktinvestitionen, die in wirtschaftlich schwächeren Ländern stattfinden, häufig von niedrigerer Qualität als in wohlhabenderen Ländern, die strengere Maßstäbe an den Marktzutritt ausländischer Konzerne anlegen. So gehen Industrieländer mittlerweile dazu über, gezielt die Ansiedlung grüner Technologien durch Maßnahmen der Investitionslenkung zu unterstützen.103Binyam Afewerk Demena/Sylvanus Kwaku Afesorgbor: The effect of FDI on environmental emissions: Evidence from a meta-analysis, Energy Policy, Volume 138, March 2020: https://doi.org/10.1016/j.enpol.2019.111192

EU-Handels- und Investitionsabkommen bräuchten daher ebenfalls Regeln für eine konsequente Investitionslenkung, um internationales Kapital in die Energiewende, die Dekarbonisierung der Industrie oder die Anpassung an den Klimawandel zu schleusen. Doch in dieser Hinsicht weisen sie eine erhebliche Leerstelle auf. Sie enthalten keine Vereinbarungen der Handelspartner, gemeinsam ein umweltbezogenes „Investment Screening“ einzurichten, das geplante Investitionen auf ihre Klimawirksamkeit untersucht.

Im Zuge eines solchen Mechanismus würden sich sowohl die Herkunftsländer als auch die Zielländer ausländischer Direktinvestitionen verpflichten, die Klimafolgen der Kapitalströme zu prüfen, entsprechende Steuerungsmaßnahmen zu entwerfen und sich bei deren Umsetzung gegenseitig zu unterstützen.104António Cardoso Marques/Rafaela Caetano: The impact of foreign direct investment on emission reduction targets: Evidence from high- and middle-income countries, Structural Change and Economic Dynamics, Vol. 55, 2020, S. 107-118: https://doi.org/10.1016/j.strueco.2020.08.005 Die gemeinsame Entwicklung eines solchen Prüfmechanismus könnte die EU allen interessierten Partnerländern anbieten – und das auch unabhängig von ihren traditionellen Handels- und Investitionsabkommen.

Die Investitionsregeln der Handelsabkommen bergen weitere Defizite. Denn sie legen Partnerländern, die Investitionen gezielt in die grüne Transformation umlenken wollen, ebenfalls Hürden in den Weg. So verbieten etwa die Investitionsvorschriften der EU-Verträge mit dem Mercosur, Chile und Mexiko sogenannte Leistungsauflagen, die Niederlassungen europäischer Konzerne zum Technologietransfer zugunsten inländischer Unternehmen verpflichten.105Siehe EU-Chile-Abkommen: Advanced Framework Agreement, Article 17.8, Market access sowie Article 17.12, Performance requirements; EU-Mexiko-Abkommen: Modernised Global Agreement, Chapter XX, Investment, Article 7, Market Access sowie Article 9, Performance Requirements Ein solcher Technologietransfer könnte etwa moderne Klimaschutztechnologien oder emissionsarme Produktionsverfahren betreffen, an denen in den Partnerländern der EU häufig ein erheblicher Mangel besteht.

Wie wichtig staatliche Mechanismen der Investitionslenkung für die Energiewende sind, zeigen Daten der Internationalen Energieagentur. Demnach fließen trotz eines Anstiegs der globalen Investitionen in saubere Energien noch immer erhebliche Investitionen in fossile Energieträger, die seit 2020 auch wieder ansteigen (siehe Grafik 18).

Grafik 18

Hinzu kommt, dass sich der Großteil der globalen Investitionen in erneuerbare Energien auf eine Handvoll von Staaten beschränkt wie China, die EU-Mitglieder und die USA. Gerade in wirtschaftlich schwächeren Ländern, die häufig noch stark von fossiler Energieversorgung abhängen, gibt es ein erhebliches Investitionsdefizit im Bereich der Energiewende (siehe Grafik 19).

Grafik 19

Dieses Defizit transitorischer Investitionen können die undifferenzierten Liberalisierungsverpflichtungen der EU-Handelsabkommen sogar noch verstärken. Denn sie erhöhen das Risiko, dass Zielländer europäischer Öl-, Gas- und Kohlefirmen Investitionen zulassen, die ihre fossile Abhängigkeit verlängern und ihre internationalen Klimaverpflichtungen gefährden.

Zudem weisen die fossilen Investitionen ein überproportionales Verlustrisiko auf, da ihre Wirtschaftlichkeit gegenüber erneuerbaren Energien perspektivisch abnimmt. Die Gefahr von entwerteten Vermögen, die sogenannten „Stranded Assets“, ist bei fossilen Investitionen überaus hoch.106Dawud Ansari/Franziska Holz: Between stranded assets and green transformation: Fossil-fuel-producing developing countries towards 2055, World Development 130, 2020: https://doi.org/10.1016/j.worlddev.2020.104947 Da viele Folgekosten entwerteter Investitionen auf die Staatshaushalte abgewälzt werden, sinken zudem die fiskalischen Spielräume für eine wirtschaftliche Modernisierung weg von den fossilen Industrien.107Pia Andres et al.: Stranded nations? Transition risks and opportunities towards a clean economy, Environmental Research Letters 18, 2023: https://doi.org/10.1088/1748-9326/acc347

Schiedstribunale:
Risikoversicherung für fossile Investitionen

Eine Abwälzung der Verluste aus „Stranded Assets“ auf die öffentliche Hand ermöglichen schließlich auch die Investitionsschutzregeln, die die EU in immer mehr Handelsabkommen integriert. Ihr Investitionsgerichtssystem (Investment Court System – ICS) hat die EU bereits in den Verträgen mit Kanada, Singapur, Vietnam, Chile und Mexiko verankert; in weiteren soll es folgen.

Das ICS ist eine Variante des in zahlreichen bilateralen Investitionsschutzabkommen (Bilateral Investment Treaty – BIT) enthaltenen Investor-Staat-Schiedsverfahrens (Investor-State Dispute Settlement – ISDS). Dieses gewährt ausländischen Investor*innen das exklusive Recht, Staaten vor internationalen Tribunalen auf Entschädigungen zu verklagen, sollten deren Regulierungen ihre Gewinnaussichten beeinträchtigen.108Thomas Fritz: Investitionsschutz in den EU-Handelsabkommen mit Chile und Mexiko: Auswirkungen auf Nachhaltigkeit und Energiewende, Umweltinstitut München/Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung, November 2023: https://umweltinstitut.org/wp-content/uploads/2023/11/ICS-Chile-Mexiko-Gutachten_Thomas-Fritz_2023-11-web.pdf Unter dem ISDS-System wurden in letzter Zeit immer mehr Klagen gegen Klimaschutzmaßnahmen eingereicht, etwa Beschlüsse zum Kohleausstieg oder zur Einstellung der Öl- und Gasexploration. Von den weltweit mehr als 1.200 bekannten ISDS-Klagen richten sich etwa 38 Prozent gegen Regulierungen im Umweltschutz und im Energiesektor.109UNCTAD: Treaty-Based Investor-State Dispute Settlement Cases and Climate Action, IAA Issues Note, Issue 4, September 2022: https://unctad.org/system/files/official-document/diaepcbinf2022d7_en.pdf

Die Entschädigungszahlungen, zu denen Investitionstribunale Regierungen verurteilen, betragen gerade bei Energieinvestitionen häufig mehrere Hundert Millionen oder sogar mehrere Milliarden Euro. Vor diesem Hintergrund können Klageandrohungen eine abschreckende Wirkung entfalten, so dass vor allem finanziell klamme Regierungen auf geplanten Vorschriften verzichten – der sogenannte Chilling-Effekt.110Tienhaara, Kyla: Regulatory Chill in a Warming World: The Threat to Climate Policy Posed by Investor-State Dispute Settlement, Transnational Environmental Law, Volume 7, Issue 2, 2018, pp. 229–250: https://doi.org/10.1017/S2047102517000309

Da auch das ICS keine klaren Begrenzungen für die Höhe der Entschädigungszahlungen vorsieht, birgt es folglich große Risiken für den Klimaschutz in der EU und ihren Partnerländern. Den EU-Firmen wiederum, die im außereuropäischen Ausland in die Ausbeutung fossiler Energieträger investieren, gewährt es eine Art kostenloser Risikoversicherung. Durch die Entschädigungsoption mindern sie das Verlustrisiko, sollten sich die Investitionen schneller entwerten als von den Firmen erhofft.111Kyla Tienhaara/Lorenzo Cotula: Raising the cost of climate action? Investor-state dispute settlement and compensation for stranded fossil fuel assets, International Institute for Environment and Development, 2020: https://www.iied.org/sites/default/files/pdfs/migrate/17660IIED.pdf

In der EU indes ist es in den vergangenen Jahren zu einem partiellen Umdenken gekommen. So unterzeichneten 23 EU-Staaten im Mai 2020 ein Abkommen zur Kündigung der BITs, die sie untereinander abgeschlossen hatten. Damit folgten sie einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs, das die Schiedsklauseln in Intra-EU-BITs als europarechtswidrig eingestuft hatte.112European Commission: EU Member States sign an agreement for the termination of intra-EU bilateral investment treaties. 5.5.2020: https://finance.ec.europa.eu/publications/eu-member-states-sign-agreement-termination-intra-eu-bilateral-investment-treaties_en

Bild von Ölplatform

Bild: Bernardo Ferrari / Unsplash.com

Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich beim Energy Charter Treaty (ECT) ab – ein von 53 Ländern und der EU unterzeichneter Vertrag zum Schutz ausländischer Energieinvestitionen. Nach einer Flut von ISDS-Klagen unter dem ECT präsentierte die Europäische Kommission im Juli 2023 einen Vorschlag für einen koordinierten Austritt der EU. Der Vertrag sei nicht mehr kompatibel mit den europäischen Klimazielen.113European Commission: European Commission proposes a coordinated withdrawal from the Energy Charter Treaty, 7.7.2023: https://energy.ec.europa.eu/news/european-commission-proposes-coordinated-eu-withdrawal-energy-charter-treaty-2023-07-07_en Auch in diesem Fall hatte der EuGH zuvor geurteilt, dass Intra-EU-Verfahren auf Basis des ECT gegen das Unionsrecht verstoßen. Zudem hatten bereits zehn EU-Mitglieder ihren ECT-Ausstieg angekündigt, darunter auch Deutschland.114Lukas Schaugg et al.: United We Leave or Divided We Stay? Why it’s time for the EU to speak with one voice regarding the Energy Charter Treaty, IISD, 20.7.2023: https://www.iisd.org/articles/deep-dive/united-we-leave-divided-we-stay-energy-charter-treaty

Während in der EU also BITs und ISDS-Verfahren zwischen Mitgliedsstaaten mittlerweile als rechtswidrig gelten, hält die EU am Investitionsschutz gegenüber Drittstaaten fest – ein weiterer Doppelstandard ihrer Handelspolitik. Denn die Gefahr, die das ISDS-System für das Rechtssystem und den Klimaschutz darstellt, besteht in noch stärkerem Maße in wirtschaftlich schwächeren Staaten, die größere Schwierigkeiten haben, transnationale Unternehmen angemessen zu regulieren.

Der Deutsche Richterbund weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es für Unternehmen ein Leichtes ist, nach einer missglückten Investition mit hohem Schaden im Gaststaat ihre Projekte einzustellen und Vermögenswerte abzuziehen. „Klagen gegen das Tochterunternehmen im Gaststaat können nicht mehr zugestellt, Titel nicht vollstreckt, strafrechtliche Ermittlungen nicht mehr durchgeführt werden.“ Daher bräuchten Handelsverträge Regeln zur internationalen Rechtshilfe bei Auslandsinvestitionen.115Deutscher Richterbund: Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zur Empfehlung für einen Beschluss des Rates über die Ermächtigung zur Aufnahme von Verhandlungen über ein Übereinkommen zur Errichtung eines multilateralen Gerichtshofs für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (COM (2017) 493 endg.), Stellungnahme, Nr. 21/17, November 2017: https://www.drb.de/positionen/stellungnahmen/stellungnahme/news/2117/

Anstelle der ISDS-Verfahren sollte die EU ihren Partnern insofern Rechtshilfe gewähren, um sie darin zu unterstützen, ambitionierte Klimaschutzmaßnahmen auch gegenüber EU-Konzernen und deren Niederlassungen durchzusetzen. Diese Rechtshilfe könnte sie ebenfalls unabhängig von ihren Handels- und Investitionsabkommen anbieten, etwa in Form von spezifischen Partnerschaftsabkommen.

Bild von Ölraffinerie

Bild: Patrick Hendry / Unsplash.com

Fazit: Klimaschutz braucht Kooperation

Wie gezeigt werden konnte, trägt die Europäische Union mit ihren Handelsbeziehungen in erheblichem Maße zum Klimawandel bei. Die Produktion der Güter, die sie ein- und ausführt, geht mit hohen Treibhausgasemissionen einher. Vor allem ihre importbedingten Emissionen sind beträchtlich, seit europäische Unternehmen viele Produktionsstätten im Ausland errichtet haben. Bezogen auf die Branchen ist neben der verarbeitenden Industrie vor allem der Transportsektor für einen großen Teil der Emissionen des EU-Handels verantwortlich. Die Handelspolitik der EU, die diese Klimarisiken eigentlich verringern müsste, trägt jedoch noch immer zur Erhöhung von Treibhausgasemissionen bei. Aus diesem Grund bedarf sie grundlegender Reformen.

Zwar kündigte die Europäische Kommission an, die Handelspolitik werde ihren Beitrag dazu leisten, eine klimaneutrale Weltwirtschaft zu erreichen. Doch kollidieren diese Ambitionen immer wieder mit dem dominierenden Anspruch ihrer Handelspolitik, Marköffnungen für europäische Exporteure durchzusetzen, den Zugang zu Rohstoffen und fossilen Energieträgern sicherzustellen und die bilateralen Handelsströme zu vergrößern. Ihr zentrales Erfolgskriterium – die Steigerung des Handels – bleibt solange unvereinbar mit dem Klimaschutz, wie der Löwenanteil der Waren emissionsintensiv produziert, transportiert und konsumiert wird.

Hinzu kommt die starke Wettbewerbsorientierung der europäischen Handelspolitik, die immer wieder in Konflikt gerät mit den Anforderungen des Klimawandels, der mehr kooperative statt wettbewerbliche globale Lösungen erfordert. Die EU-Handelspolitik scheitert bisher an einer klaren Priorisierung des Klimaschutzes gegenüber den Interessen einflussreicher Unternehmen vor allem der Exportwirtschaft.

Dies wird besonders an ihren Handelsabkommen deutlich, die rund 44 Prozent des EU-Außenhandels erfassen. Denn durch den Abbau von Zöllen und nichttarifären Regulierungen fördern diese vor allem eine Zunahme des Handels mit emissionsintensiven Waren. Ein zentrales Defizit dieser Abkommen liegt insofern in den fehlenden Verpflichtungen zur Dekarbonisierung der Produktion und zur Verringerung des Handels mit emissionsintensiven Gütern.

Auch die multilateralen Initiativen der europäischen Handelspolitik stehen nicht immer im Einklang mit den Anforderungen der Klimakrise. Besonders fragwürdig sind die GATT- und WTO-Verfahren, die die EU gegen klimapolitische Maßnahmen anderer Länder angestrengt hat. Mit ihren WTO-Klagen gegen grüne Subventionen und Lokalisierungsauflagen behindert sie zudem die internationale Verbreitung moderner Klimatechnologien. Nur wenn es weltweit ausreichende Produktionskapazitäten für diese Güter gibt, wird sich die Erderwärmung effektiv bekämpfen lassen – eine Erkenntnis, gegen die die EU sich bisher noch sperrt.

Die unilateralen Klimainitiativen der EU-Handelspolitik – so gerechtfertigt sie grundsätzlich auch sein mögen – haben ebenfalls einige Defizite. So ist die Kritik, die vor allem Länder des Globalen Südens an dem CO2-Grenzausgleich CBAM und der Entwaldungsverordnung üben, zumindest teilweise gerechtfertigt. Denn es mangelt bei beiden Maßnahmen an hinreichender Unterstützung für Produzent*innen in wirtschaftlich schwächeren Ländern. Um ihre Wirksamkeit zu erhöhen, bräuchte es insofern ergänzender Unterstützung seitens der EU, zum einen für die industrielle Transformation in Schwellenländern, zum anderen für die Rückverfolgbarkeit potenziell waldgefährdender Produkte.

Schließlich bergen auch die in EU-Handelsabkommen enthaltenen Regeln für die Liberalisierung und den Schutz von Investitionen große Risiken für den Klimaschutz. Angesichts der noch immer beträchtlichen Auslandsinvestitionen europäischer Firmen in fossile Energien und andere umweltschädliche Branchen, ist es ein zentrales Defizit, dass die Abkommen keine Vereinbarungen für eine gemeinsame klimabezogene Investitionsprüfung enthalten. Aufgrund dieser Lücke erhöhen sie das Risiko teurer Fehlinvestitionen in fossile Industrien. Die in immer mehr Abkommen enthaltenen Investor-Staat-Schiedsverfahren wiederum gefährden eine progressive Klimagesetzgebung durch die überproportional hohen Entschädigungen, zu denen Regierungen verurteilt werden können.

Bild von Klimademo

Bild: Markus Spiske / Unsplash.com

Die EU müsste daher grundlegende Reformen vornehmen, um ihre Handelspolitik klimagerecht zu gestalten. Diese Reformen würden vor allem eine Stärkung kooperativer gegenüber den jetzt dominierenden wettbewerblichen Instrumenten erfordern. Dazu gehört im Einzelnen:

  • Die Emissionsintensität des EU-Außenhandels muss besser und systematischer erfasst werden, um gezielte Maßnahmen für seine Dekarbonisierung entwickeln zu können. Es bedarf dazu öffentlich zugänglicher aktueller Daten über die in Im- und Exporten enthaltenen Emissionen, aufgeschlüsselt nach Branchen und Partnerländern.
  • Auf neue EU-Handelsabkommen, die keinen effektiven Beitrag zur Reduktion von Treibhausgasemissionen leisten oder diese gar noch erhöhen, muss unbedingt verzichtet werden. Die existierenden EU-Handelsabkommen müssen entsprechend umwelt-, klima- und menschengerecht umgestaltet werden.
  • Grundsätzlich sollte die EU weniger umfangreichen Partnerschaftsabkommen mit dezidiertem Fokus auf die Lösung spezifischer Umwelt- und Entwicklungsprobleme Vorrang gegenüber ihren traditionellen Handelsabkommen geben. Solche Partnerschaftsabkommen könnten sich auf den Waldschutz, Bergbaureformen, die Energiewende, Technologietransfer, industrielle Dekarbonisierung, Kreislaufwirtschaft oder den Abbau fossiler Subventionen fokussieren.
  • Die multilateralen Aktivitäten der EU im Rahmen der WTO müssen an klare Vorgaben geknüpft werden, die eine sozial-ökologische Transformation in den Partnerländern zum Ziel haben. Von Verschärfungen des WTO-Rechts oder Schiedsverfahren, die den klimagerechten Umbau der Produktionsstrukturen behindern, muss die EU unbedingt absehen. Stattdessen sollte sie grüne Subventionen, Lokalisierungsauflagen und Technologietransfers, die eine globale Produktionsausweitung moderner Klimatechnik ermöglichen, aktiv unterstützen.
  • Ihre unilateralen klimabezogenen Handelsinstrumente wie CBAM und die Entwaldungsverordnung müssen um kooperative Mechanismen ergänzt werden. Wirtschaftlich schwächere Länder, die von diesen Instrumenten betroffenen sind, bedürfen gezielter Unterstützung auch finanzieller Art, um die Dekarbonisierung ihrer Industrie und ihrer Exportproduktion umsetzen zu können.
  • Auf Investor-Staat-Schiedsverfahren in EU-Handels- und Investitionsabkommen muss ebenfalls verzichtet werden. Sie schwächen die nationalen Rechtssysteme und behindern durch hohe Entschädigungen den klimagerechten Umbau der Handels- und Produktionsstrukturen. Stattdessen sollte die EU ihren Partnerländern die Entwicklung eines klimabezogenen „Investment Screenings“ anbieten, um Auslandsinvestitionen gezielt in Projekte zur Dekarbonisierung der Produktion und zur Anpassung an den Klimawandel lenken zu können.

Endnoten

Herausgeber

Logos: PowerShift, Anders Handeln Österreich, Attac Deutschland, NaturFreunde Deutschlands

Gefördert durch ENGAGEMENT GLOBAL mit Mitteln des

Logo des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Für den Inhalt dieser Publikation ist allein PowerShift e.V verantwortlich; die hier dargestellten Positionen geben nicht den Standpunkt von Engagement Global oder des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wieder.

Mit freundlicher Unterstützung von

Logo des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Für die Inhalte der Publikationen ist allein die bezuschusste Institution verantwortlich. Die hier dargestellten Positionen geben nicht den Standpunkt der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe wieder.

Autor*in