Für eine Welt ohne Kinderarbeit
Heute ist Welttag gegen Kinderarbeit. Da passt dieses Bild auf den ersten Blick nur zu gut. Zwei erschöpft schauende Jungs, beide noch im schulpflichtigen Alter. Sie stehen hinter einer Lore, die genutzt wird, um goldhaltiges Gestein aus engen Minenschächten zu schieben. Sie tragen nur Plastikschlappen, keine Schutzkleidung, keine Helme. Die Lore wird aus dem dunklen Loch nach draußen geschoben, unter starker, körperlicher Anstrengung. Das Mahlen des Gesteins geschieht außerhalb des Stollens, häufig mit lauten Dieselpumpen oder gar manuell angetriebenen Geräten. Nur wenige Gramm Gold werden aus einer Tonne Gestein gewonnen. Das Recycling einer Tonne Elektroschrott in Deutschland wäre ergiebiger.
Im Großtagebau wird in der Regel der Rest des Goldes mit Cyanid industriell herausgewaschen. Hier in Mapisla, im Norden der Philippinen, wird häufig noch Quecksilber genutzt. Auch wenn es offiziell verboten ist. Eine kleine Pfanne wird erhitzt, das Quecksilber bindet das Gold. Der Rest wird hinter das Haus gekippt, wo Schweine nach Nahrung suchen und Kinder spielen. Wohin das Gold von hier aus geht, wissen wir nicht. Vielleicht landet es in der Bordelektronik eines Volkswagens, vielleicht in einem Handy, das wir in einem Telekom-Shop kaufen oder in der Steuerung einer Miele-Waschmaschine. Deutsche Hersteller wissen es häufig selbst nicht. Es interessiert sie nicht. Rohstoffe müssen verfügbar und günstig sein. Die Abbaubedingungen sind zweitrangig. Mapisla oder andere Bergbaugebiete sind in der Regel weit weg. Nahezu 100 Prozent der bergbaulich gewonnen Metalle und Minerale werden außerhalb Deutschlands gewonnen. Viele in Ländern des Globalen Südens.
Industrie reagiert erst, wenn es zu spät ist
Deutsche Unternehmen müssen keine Sorgfaltspflichten beachten. Sie müssen sich nicht darum kümmern, ob ihre Zulieferer Kinder ausbeuten, Arbeitnehmer*innenrechte verletzen oder die Umwelt verschmutzen. Es sei denn, es wird aufgedeckt. Als lokale Sicherheitskräfte im August 2012 34 streikende Bergarbeiter in Marikana, Südafrika, erschossen, wurde BASF erst aktiv, als Aktivist*innen aufzeigten, dass das meiste von den Männern gewonnene Platin nach Deutschland zu BASF exportiert wurde. Dass Gewerkschafter und ihre Familien nahe der Kohlegruben in Kolumbien bedroht wurden, fand in Deutschland erst Interesse, als die Zivilgesellschaft nachweisen konnte, dass die Kohle in deutschen Kraftwerken verstromt wurde. Dass Kobalt aus der DR Kongo zum Teil von Kindern gewonnen wird, wurde von Amnesty International aufgedeckt, nicht von der Bundesregierung, der Europäischen Kommission oder von BMW, Daimler oder Volkswagen, die dieses Kobalt nutzen.
Nicht nur, aber auch wegen der Kinder
Es braucht ein Gesetz, das Unternehmen dazu verpflichtet ihrer Sorgfaltspflicht nachzukommen. Unternehmen müssen rechtlich haftbar gemacht werden für Verstöße, die sie hätten verhindern können, wenn sie genauer hingeschaut hätten. Bilder wie dieses, mit Kindern hinter Loren, sollten in Zukunft nicht mehr entstehen.
Fake News vs. starke Regularien
Oder solche Bilder sollten nur noch in bestimmten Kontexten entstehen. Denn was wir auf dem Foto sehen ist keine Kinderarbeit. Es sind spielende Kinder. Als ich 2012 in die Philippinen reiste, um mich mit den negativen Aspekten des Abbaus zu beschäftigen, sprangen sie in dem Dorf Mapisla um mich herum. Ihre Eltern und Großeltern leben hauptsächlich von der Landwirtschaft und Rücküberweisungen von Familienmitgliedern aus dem Ausland. Zwar besaßen einige der Menschen kleine Stollen, aber Bergbau schien für niemandem in dem Dorf die Haupterwerbsquelle zu sein. Die Kinder hatten eine Grundschule, der Ältestenrat des Dorfes konnte hier sogar fernab staatlicher Regulierung und fernab von Großtagebau Regeln durchsetzen. Auf den ersten Blick ein Musterbeispiel wie sich Kleinschürfer und lokale Wertschöpfung miteinander verbinden lassen. Diese Kinder posierten – ohne dass ich sie gefragt hatte – für diese Bilder. Es ist ein schönes Zeichen. Eine Welt ohne ausbeuterische Kinderarbeit ist möglich. Lasst uns mit der Politik endlich Gesetze gestalten, um diese Vision voranzutreiben, damit Kinderarbeit überall der Vergangenheit angehört.
Michael Reckordt