Staubiger Glanz:
Neue Rohstoffbedarfe der EU,
alte Ungerechtigkeiten für Südafrika

Eine Geschichtensammlung von Hannah Pilgrim, fußend auf der Broschüre:

Neue Rohstoffbedarfe der EU, alte Ungerechtigkeiten für Südafrika

Das Donnern der Hafenverladungen in der Ferne, das Kreischen der Möwen am azurblauen Himmel und der rote Staub, der durch die Lagune von Saldanha fliegt. Es scheint so unglaublich weit weg vom winterlichen Grau in Berlin oder Brüssel. Aber der Schein trügt, genau wie der Schein des malerischen Strands an der südafrikanischen Westküste, wo sich meine Füße just in den warmen Sand graben.

Ich stehe hier, weil in weniger als drei Kilometern Luftlinie gerade in großen Mengen Eisen und Mangan auf die Frachtschiffe verladen werden. Metalle, die schlussendlich auch auf den Straßen Deutschlands in Form von Autos, Batterien oder in Gebäuden verbaut und genutzt werden.

Deutschland und die EU stehen seit Jahrzehnten in enormer Abhängigkeit von Rohstoffen aus Südafrika. Zudem gehören wir zu den größten Verbrauchern metallischer Rohstoffe und für den Umbau in eine post-fossile Wirtschaft und die Aufrechterhaltung des wirtschaftlichen Status Quo entsteht gerade ein neuer politischer Run auf Metalle weltweit- so auch in Südafrika.

Mehr als 12.000 Kilometer von Europa entfernt, trifft in Südafrika das aktuelle politische Klima der EU auf historische Kontinuitäten der Ausbeutung und die fortgeführte Auslagerung des europäischen Lebensstils.

Während Politik und Wirtschaft den Fokus auf die Sicherung der Rohstoffimporte legen, wird erschreckend wenig danach gefragt, welche Auswirkungen unser metallreicher Lebensstil auf die Regionen des Abbaus nach sich ziehen.

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Am Tropf: Rohstoffabhängigkeiten der EU und der neue Run auf Metalle

Nur wenige Monate später laufe ich über den Place de Rogier im Zentrum Brüssels.

Die Novembersonne zeigt sich an diesem kalten Morgen von der schönsten Seite und die modern glänzende Architektur der Bürogebäude vermischt sich mit den pompösen Jugendstilfassaden.

Ich bin auf dem Weg ins Hotel Le Plaza. Die EU Kommission lädt zur “Raw Materials Week”.

“Europe is business” ruft es aus den Lautsprechern. Kurz darauf ertönt lauter Applaus im stuckbesetzten Saal. Nicola Beer verkündet als Berichterstatterin die politische Einigung beim Critical Raw Materials Act (CRMA). Ich rutsche unruhig auf meinem Stuhl hin und her und versuche vor Aufregung meinem Sitznachbarn nicht den Kaffee über den Schoß zu schütten.

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Obwohl die Bürger*innen der EU nur sechs Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, verwenden wir bereits jetzt 25-30 Prozent der weltweit produzierten Metalle.

Die EU in rohstoffpolitischer
Alarmbereitschaft und ein neues Gesetz

Die EU weiß, wie abhängig sie von Rohstoffen anderer Ländern ist, und mit den Erfahrungen von Lieferkettenunterbrechungen in den letzten drei Jahren und den Prognosen steigender Metallbedarfe, wurde gerade in Rekordgeschwindigkeit der Critical Raw Materials Act verabschiedet.

Im Rahmen des EU Green Deals soll das Gesetz sicherstellen, dass die EU verlässlich mit den sogenannten Kritischen (Critical Raw Materials, CRM) und Strategischen Rohstoffen (Strategic Raw Materials, SRM) versorgt wird, um die Dekarbonisierung der EU-Industrie zu gewährleisten.

CRM und SRM wurden von der Kommission als solche Rohstoffe definiert, die von besonderer Bedeutung für die europäischen Industrien sind. Zum Beispiel für die Digitalisierung, Mobilität, Energie oder Verteidigungsgüter. Unter die Strategischen Rohstoffe fallen auch Mangan oder die Platingruppenmetalle (PGM), die zu einem beachtlichen Anteil in Südafrika gewonnen werden.

„Lithium und Seltene Erden werden bald wichtiger sein als Öl und Gas. Allein unser Bedarf an seltenen Erden wird sich bis 2030 verfünffachen. Und das ist ein gutes Zeichen. Denn es zeigt, mit welchem Tempo unser Europäischer Green Deal vorankommt.”

— Ursula von der Leyen

Wie viele Metalle, die zu einem Großteil in Südafrika abgebaut werden, wurden 2022 weltweit insgesamt verbraucht?

Auswahl bedeutender Metalle, die Deutschland und die EU aktuell vom afrikanischen Kontinent importieren

Bei welchen Metallen ist Südafrika bedeutender Produzent?

Was sind die wichtigsten Ursprungsländer deutscher Importe bei Industriemetallen?

Welche Länder haben den höchsten Anteil an der weltweiten Versorgung mit Kritischen Rohstoffen?

Welche strategischen Rohstoffe fließen in welche Sektoren?

Strategische Rohstoffe und ihre Nutzung

(Abnehmend nach Höhe des Versorgungsrisiko)

Welche davon kommen aus Südafrika und wieviele wurden dort 2022 abgebaut?

PGM*

55% der in 2022 abgebauten Platingruppenmetalle.

*Platinmetalle (PGMs), im Englischen auch Platinum Group Metals, sind eine Gruppe von sechs Edelmetallen, die Platin, Palladium, Rhodium, Ruthenium, Iridium und Osmium umfassen.

Palladium
Platin

Titanium

10% des abgebauten/genutzten Titans in 2022 aus Südafrika.

Ilmenit
Rutile

Mangan

36% des abgebauten/genutzten Mangans in 2022 aus Südafrika.

Von rotem und schwarzem Staub: Mangan und Eisenerz

Aus den politischen Hallen Brüssels zurück an die südafrikanische Westküste

In der brütenden Mittagshitze sitze ich neben Kyle Dodds, Hotelbesitzer in nächster Nähe zum Hafen in Saldanha.

Nur wenige Stunden zuvor hatte er mich herzlich begrüßt und sich bedankt, dass ich mir die Zeit nehme, um ihren Anliegen zuzuhören. Seitdem in nächster Nähe seines Grundstücks Eisenerz verladen würde, käme es in der Region zu enormer Staubbelastung, so Dodds. Während er von der immensen Belastung durch den Hafen berichtet, trübt sich seine Heiterkeit und die Sorgen stehen ihm ins Gesicht geschrieben.

Links von uns rattern die Waggons entlang, die ohne jegliche Abdeckung die Erze aus dem Landesinneren an die Küste transportieren. Über die ganze Region legt sich ein rostroter Teppich, der selbst den Möwen ein rosa Brustgefieder verleiht. Auch der Wert der Häuser in den Gemeinden sei in den vergangenen Jahren stark eingebrochen, da die dauerhafte Staubbelastung die Instandhaltung extrem erschwere.

Der rote Staub ist das eine, aber was Dodds und seiner Familie seit geraumer Zeit ebenfalls enorme Sorgen bereitet, ist der schwarze Staub des Manganerzes, was nun ebenfalls über Saldanha exportiert wird. Es birgt lebensbedrohliche Gesundheitsrisiken .

Zusammen mit seiner Frau und weiteren Bewohner*innen der Region gründete Dodds die “Red Dust Action Group”, um die Verantwortlichen, wie die südafrikanische Regierung, den Minenbetreiber, aber auch die großen Käufer der Rohstoffe auf die Situation aufmerksam zu machen und Verbesserung einzufordern.

Als großer Einkäufer südafrikanischen Eisens und Mangans steht auch Deutschland in der Verantwortung.

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Überall um uns herum auf Farmland oder freien Landflächen wird das Erz unter freiem Himmel gelagert. Auch die Verladung von Eisenerz und anderen Exportmineralien im Hafen findet unter freiem Himmel statt, sodass die Erzpartikel vom Wind in die umliegenden Geschäfte und Wohngebiete getragen werden. Wir machen uns auch Sorgen um unsere Gesundheit und den Verfall unserer Grundstücke aufgrund der Verschmutzung durch den roten Staub, der uns umgibt.

- Mitglied der Red Dust Action Group

Bahnstrecke vom Hafen in Saldanha zur Sishen Mine

Fakten zu Eisen
Wie wird Eisenerz abgebaut und welche Rolle spielt Südafrika?

Als Grundstoff für die Stahlproduktion wird Eisenerz im Tagebau abgebaut. Mit einem Anteil von knapp 38 Prozent ist Südafrika der wichtigste Eisenerzexporteur für Deutschland. Südafrika ist siebtgrößter Produzent weltweit. In Südafrika wird Eisenerz hauptsächlich in Northern Cape in der Sishen, Kolomela und Khumani Mine abgebaut. Das Abbaugebiet ist durch eine mehr als 800 Kilometer lange Zugstrecke mit dem Hafen in Saldanha verbunden. Ein 342 Waggons langer Güterzug bringt das Erz an den Hafen, um von dort in die Welt exportiert zu werden.

Für was wird Eisenerz genutzt?

Eisenerz wird in zahlreichen Anwendungen benötigt, spielt aber in Deutschland besonders im Maschinenbau, Baugewerbe und in der Automobilindustrie eine wichtige Rolle. (E)-Autos bestehen zu einem beachtlichen Anteil aus Stahl, welcher vor allem in der Karosserie, aber auch im Fahrwerk und im Batteriegehäuse sowie in der Kathode von Lithium-Eisen-Phosphat-Batterien verbaut wird. 2019 flossen 26 Prozent des verarbeiteten Stahls in die Automobilindustrie.

Welche Folgen des Eisenerz Abbau in Südafrika?

In einem Bericht von Action Aid South Africa und MACUA/WAMUA wurden die Auswirkungen des Bergbaus auf diverse Bergbaugemeinden in Südafrika untersucht. Darunter auch Maremane, in nächster Nähe zur Kolomela Mine, der zweitgrößten Eisenerzmine in Südafrika. Bei den Untersuchungen wurde vor allem deutlich, dass die Bevölkerung, ähnlich wie am Hafen von Saldanha, unter der enormen Staubbelastung leidet. Dies ist vor allem eine Folge des Bergbaus und des Transports des Erzes auf ungeteerten Straßen.

In der Kolomela Mine wird im konventionellen Tagebauverfahren neben Bohrungen auch gesprengt und das aus der Mine geförderte Erz in die nahe gelegene Aufbereitungsanlage transportiert. Dort wird das Erz gebrochen und gesiebt und im Anschluss über die Sishen-Saldanha-Eisenbahnlinie an den Hafen gebracht. Vor allem die daraus entstandenen Staubentwicklungen führen bei der Bevölkerung zu erheblichen gesundheitlichen Problemen. Zudem ist die Bevölkerung von diversen Krankheiten betroffen, die aus dem mangelhaften Zugang zu Wasser, Strom und Wohnraum resultieren.

Fakten zu Mangan
Wie wird Mangan abgebaut und welche Rolle spielt Südafrika?

Mangan wird hauptsächlich im industriellen Tagebau oder Tiefbau als Erz abgebaut. Südafrika ist das bedeutendste Förderland mit 33 Prozent der globalen Förderung. Zwei Drittel aller Manganminen sowie ein Großteil der Reserven liegen im sogenannten Kalahari Mangan Feld, was sich über 425 km2 im nördlichen Südafrika (Northern Cape) erstreckt. Es ist das größte Manganerzvorkommen der Welt. Mit der neuen Klassifizierung der EU gehört Mangan nun zu den Strategischen Rohstoffen (SRM), da es eine besondere Bedeutung für die europäische Industrie hat. Geplante, sogenannte Strategische Projekte der EU könnten zukünftig also auch die Manganfelder in Südafrika betreffen.

Für was wird Mangan genutzt?

Das wichtigste Anwendungsgebiet für Mangan ist mit über 90 Prozent die Stahlindustrie. Mangan ist außerdem ein wichtiger Bestandteil der Kathode von Nickel-Mangan-Kobalt oder Lithium-Mangan-Batterien. Durch seine spezifischen chemischen Eigenschaften kann Mangan die Reichweite und Sicherheit eines E-Autos zu verbessern.

Welche Folgen hat der Mangan-Abbaus in Südafrika?

Eine der größten Herausforderungen im Abbau und der Weiterverarbeitung von Mangan ist die enorme Gesundheitsgefahr, die vor allem vom schwarzen Manganstaub ausgeht. Die kleinen Partikel können durch die Atmung direkt in die Lunge und den Blutkreislauf gelangen. Je kleiner die Manganpartikel und je länger die Exposition mit Mangan, desto höher das Risiko, dass sie vom Körper aufgenommen und die Betroffenen unter Manganismus, einer Parkinson ähnlichen Krankheit, leiden. Diese chronische Manganvergiftung führt zu unterschiedlichen neurologischen Störungen, wie Nerven- und Muskelschäden, Lähmungen, Sprach- und Gedächtnisstörungen sowie psychischen Beeinträchtigungen. Vor allem Arbeitende im Manganbergbau, der Weiterverarbeitung, dem Transport sowie Anwohner*innen entlang der Mangan-Flüsse sind bei nicht vorhandenen Sicherheitsvorkehrungen dem hohen Risiko des Manganismus ausgesetzt.

In einer Analyse von Action Aid, MACUA/WAMUA und SOMO kamen die Autor*innen 2021 zu dem Ergebnis, dass der Manganbergbau im Kalahari Mangan Feld zu Wassermangel und der Verschmutzung von Wasser, Luft und Böden führt. Dadurch leiden die lokalen Gemeinden unter enormen Gesundheitsproblemen. Besonders Kinder und Frauen sind von den Folgen der Mangangewinnung betroffen – sei es durch gesundheitliche Schäden wie vermindertes Wachstum und Lungenkrankheiten oder die Übernahme der Care-Arbeit in der Pflege der Betroffenen.

“Die Firma kannte die Gefahren von Mangan, aber sie haben uns nie davor gewarnt; […] sie haben uns einfach langsam umgebracht und niemand wird jemals zur Rechenschaft gezogen werden“

- Arbeiter, der durch die Arbeit in einer Mine im Kalahari Mangan Feld an Manganismus erkrankt ist

Manganese Matters
A metal of consequence for women and communities in South Africa.
-
ActionAid

Mining in South Africa
Whose Benefit and Whose Burden?
-
ActionAid

Nutzung von Stahl nach Industriesektor

Nutzung von Mangan nach Industriesektor

Das Erbe der rassistischen Raumpolitik in Südafrika: Soziale Ungleichheiten entlang der Rohstoffflüsse

Während die Arbeiter*innen und Anwohner*innen entlang der Eisenerz- und Manganflüsse enormen Risiken ausgesetzt sind und Gerechtigkeit einfordern, produzieren die Bergbauunternehmen weiterhin für den Weltmarkt. Und finden Abnehmer.
Auch in Deutschland.

Trotz des Endes der Apartheid herrschen innerhalb Südafrikas weiterhin enorme Ungleichheiten, die vor allem daraus resultieren, dass die Gewinne aus dem Bergbau und dem Rohstoffhandel weiterhin nicht hauptsächlich der Mehrheitsgesellschaft zu Gute kommen, sondern den Eliten des Landes sowie ausländischen Akteuren vorbehalten bleiben.

Ein Beispiel für die historischen Kontinuitäten der rassistischen Raumpolitik ist in der Goldbergbauregion eine Stunde östlich von Johannesburg zu beobachten. Direkt neben den Wohnhäusern öffnen sich in Khutsong in der Gemeinde Merafong Löcher so tief wie Strommasten.

Weiterlesen? Hier geht es zur Broschüre (Kapitel 2)

Von ungeheilten Wunden und andauernden Verletzlichkeiten: PGM aus Südafrika

Wo sich an einem Ort der Boden öffnet, türmen sich entlang des Platingürtels in der Provinz Gauteng die Abraumhalden des nicht gebrauchten Gesteins aus dem Bergbau.

Aus der Ferne wie Bergketten wirkend, tun sich ohne jegliche Absicherung und in nächster Nähe zu Wohnsiedlungen die Überreste des globalen Rohstoffhandels auf.

Während ich auf die beige Mauer schaue, auf der in schwarzen Lettern der Unternehmensname “Sibanye Stillwater” rankt, säubere ich meine Sonnenbrille von einer feinen Staubschicht. Ich stehe vor den Eingangstoren Marikanas.

Diesen Sommer wird sich das Massaker von Marikana zum zwölften Mal jähren. Mehr als ein Jahrzehnt mangelnder Rechenschaftspflicht seitens der südafrikanischen Regierung, der Polizei, des damaligen Unternehmens Lonmin, heute Sibanye Stillwater, und der Rohstoffabnehmer.

Mehr als ein Jahrzehnt unbeantworteter Fragen für die Opfer und Angehörigen.

Die Wunden sind tief und das Warten auf Gerechtigkeit für die Betroffenen qualvoll.

Aber was ist damals passiert?

Am 16. August 2012 wurde ein Streik von Arbeitenden aus der Platinmine in Marikana von der südafrikanischen Polizei und dem Sicherheitspersonal der Bergbaufirma blutig beendet. Dabei wurden 34 Menschen von der Polizei ermordet und mindestens 78 weitere verletzt. Die Arbeitenden der Mine hatten ihre Arbeit niedergelegt, um einen existenzsichernden Lohn, bessere Wohnbedingungen und eine gerechte Verteilung der Rohstoffeinnahmen zu fordern.

Das Massaker von Marikana beschränkt sich nicht auf Südafrika. Es ist eingebettet in den globalen Rohstoffhandel und Verantwortungsnetzwerke. Dabei spielt auch Deutschland eine Rolle. Das deutsche Unternehmen BASF gehörte damals zu den Hauptabnehmern des britischen Unternehmens Lonmin und bezieht weiterhin südafrikanisches Platin. Nun von Sibanye Stillwater.

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Unter der siedeheißen Januarsonne stehe ich nun auf einem Hügel und blicke auf die Industrieanlagen der Platinfabrik, ein weites Feld und die informelle Siedlung Nkaneng.

Bei den über 30 Grad ertönt das durchdringende Sirren der zahlreichen Stromkabel über mir noch erdrückender.
Es ist nicht irgendein Hügel oder irgendein Feld, es ist der blutige Schauplatz des 16. August 2012. Der blutige Schauplatz des Marikana Massakers.

Ich stehe nicht allein auf dem Hügel. Thato und Lizeka stehen neben mir.

Sie sind Teil des “Sinethemba Marikana Women ́s Collective”. Eine selbstorganisierte Basisgruppe, die sich nach dem Massaker zusammentat, um durch Näh- und Kunsthandwerk, den Frauen von Marikana ein gewisses Einkommen zu verschaffen.

Die Lebensbedingungen sind sehr schlecht. Daran hat sich nichts geändert. Und das obwohl wir direkt neben den Minen leben. Aber es tut sich nichts. Es tut sich einfach gar nichts. Bitte hören Sie die Bedürfnisse der Bergleute, denn sie sind diejenigen, die den Schmerz der Arbeit unter Tage spüren. Wir bitten Sie, lassen Sie die Mineralien Südafrikas den Südafrikaner*innen zu Gute kommen.

- Sinethemba Marikana Womens Collective

Marikana Heute und die Rolle Deutschlands

Was Thato, Lizeka und Thumeka berichten, spiegelt sich auch in der Studie von Asanda-Jonas Benya und Crispen Chinguno wider. Sie hatten zahlreiche Betroffene in Marikana interviewt und stellten fest, dass sich die Arbeits- wie auch Lebensbedingungen, die u.a. Grund für die Streiks in 2012 waren, mehr als ein Jahrzehnt danach nur marginal verbessert und in Teilen sogar verschlechtert hatten.

Brot für die Welt (2022) "Warten auf Gerechtigkeit"

Da es in Deutschland nahezu keinen metallischen Bergbau gibt, werden PGM in großem Maßstab aus dem Ausland importiert. Bei Platin ist Südafrika der zweitwichtigste Exporteur für Deutschland. Insgesamt wird mehr als drei Viertel des in Südafrika produzierten Platins exportiert. Die in Deutschland ansässige BASF gehört seit Jahren zu den größten Einkäufern des südafrikanischen Platins. Trotz verheerender und andauernder Menschenrechtsverletzungen im PGM-Abbau, wie dem Marikana Massaker, ist dessen Produktion in Südafrika in den letzten Jahren deutlich gestiegen. So bauten im Vergleich zum Vorjahr die drei größten Bergbauunternehmen Sibanye Stillwater, Anglo American Platinum und Impala Platinum mehr als zehn Prozent mehr ab.

Mit der Verkündung des CRMA wurde Südafrika aufgrund der bedeutenden Rolle bei der Produktion von PGM zudem als potentieller strategischer Partner der EU benannt.

Die Rolle der deutschen BASF

Der Protest der südafrikanischen Zivilgesellschaft reicht bis nach Deutschland.

Gemeinsam mit der “Plough Back The Fruits“ Kampagne, einem südafrikanisch-deutschen Organisationsnetzwerk, reiste der südafrikanische Journalist Niren Tolsi nach Deutschland.

Er hatte zusammen mit seinem Kollegen Paul Botes das Leben der Familien, die in Marikana Angehörige verloren haben, dokumentiert.

Im April 2023 wendet sich Tolsi auf der Aktionärsversammlung der BASF direkt an den deutschen Konzern:

Ich habe mir das Unternehmensprofil von ihnen angesehen, die BASF-Jahresberichte gelesen und gesehen, was sie auf ihrer Marikana-Website geschrieben haben, wo sie es selbst, als ein Best Practice Beispiel für die deutsche Industrie darstellen, wo sie behaupten, sich für saubere Lieferketten einzusetzen. Doch die Zustände in Marikana sprechen eine andere Sprache. Sie zeugen von einer anderen Realität. Die Menschen dort erzählen mir, dass Sibanye Stillwater sie noch weniger als Lonmin involviert, ihnen noch weniger Mitsprache gewährt, ihnen noch weniger Handlungsfähigkeit gewährt. […] Wenn sie, die BASF, so tut als ob sie sich für saubere Lieferketten einsetzt, dann ist sie auch diesen Menschen verpflichtet.

- Niren Tolsi

Unser aller Staub:
Ohne Rohstoffwende, keine Gerechtigkeit für die Zivilgesellschaft weltweit.

In den sauberen Fenstern der Waterfront Kapstadts reflektiert das grelle Licht.

Nicht weit des riesigen DHL-Stadions, aber weit von den Minen im Kalahari Mangan Feld oder dem Platingürtel entfernt, tagt die größte Bergbaukonferenz auf dem afrikanischen Kontinent.

Bei der alljährlichen “Mining Indaba” kommen Bergbaukonzerne wie Anglo American, Rio Tinto und Co, Politiker*innen aus aller Welt, Berater*innen und Industrie-Vertreter*innen zusammen.

Es wird sich ausgetauscht über Investitionsmöglichkeiten, Herausforderungen und Potentiale des afrikanischen Bergbausektors. “Unlocking African Mining Investment: Stabitlity, Security and Supply” prangt über dem mehrtägigen Programm.

Zivilgesellschaft in Südafrika fordert Mitsprache und Klarheit

Nicht weit von der Konferenz entfernt versammeln sich Anti-Bergbau Aktivist*innen der Right to Say No und People ́s Dialogue Kampagnen und halten Schilder in die Höhe, auf denen sie ihren Unmut über die Konferenz äußern.

Der Zweck der Indaba ist es, den Unternehmen eine Bühne zu geben, um den Extraktivismus zu fördern und zu diskutieren, wie der Bergbausektor weiterhin floriert und sie davon profitieren können, während Millionen von Menschen unter den schwerwiegenden sozialen und wirtschaftlichen Folgen des zerstörerischen Bergbaus und des Extraktivismus im Allgemeinen leiden.

- Matthew Hlabane (Right to Say No)

Nicht weit von der größten Bergbaukonferenz Afrikas entfernt, sitze ich nun neben zahlreichen Vertreter*innen aus NGOs, Kirchen, betroffenen Bergbaugemeinden, Gewerkschafen und weiteren Organisationen.

Ich besuche gerade die “Alternative Mining Indaba” (AMI).
Die Zivilgesellschaft aus Südafrika und zahlreichen weiteren afrikanischen Ländern sind zusammengekommen, um sich über die Konsequenzen des Bergbaus sowie die notwendigen Schritte hin zu einer global gerechten Energiewende auszutauschen.

Ob in Saldanha, Maremane oder versammelt bei der AMI:
Das erhöhte Interesse an den sogenannten CRM und SRM, wie den PGM oder Mangan, ist vor allem für die Bergbaugemeinden spürbar. Sie bemerken es in zunehmenden Explorationen, erhöhter Bergbauproduktion oder dem verstärkten Transport der Rohstoffe in ihrer direkten Umgebung.

Ich bin weit entfernt von den Plenarsälen der EU und der Debatte so nah wie nie.

Mit den Forderungen der Red Dust Action Group, des Sinethemba Women´s Collective, MACUA/WAMUA und Co im Gepäck, mit den aktuellen Bestrebungen der EU den Bergbau weiter zu forcieren, sitze ich erneut in innerlicher Aufruhe und Zerrissenheit zwischen den Konferenzteilnehmer*innen.
Dieses Mal in Kapstadt.

Fragen der südafrikanischen Zivilgesellschaft an die rohstoffnutzenden Länder des Globalen Nordens

(u.a. gestellt während der AMI und weiteren zivilgesellschaftlichen Austauschen)

Wessen Energiewende wird es?

Wer wird davon profitieren?

Wer gestaltet sie?

Wer entscheidet, für wen und wofür die Energie benötigt wird?

Wie können wir sicherstellen, dass die Gemeinschaften im Mittelpunkt der Debatte und der weiteren Umsetzung stehen?

Wie wird sichergestellt, dass die Gemeinden Zugang zu Energie bekommen?

Was wird anders sein als in den letzten Jahrzehnten der Ausbeutung der Rohstoffe?

Welche Rolle spielen die Länder des Globalen Nordens, um die Rechte der Gemeinschaften und der Umwelt zu respektieren?

Wie werden die alten Verbrechen, wie das Marikana-Massaker, aufgearbeitet?

Wann und wie werden diejenigen, die noch auf Gerechtigkeit warten, zu ihrem Recht kommen?

Was geschieht mit den Gemeinden, die momentan noch vom Kohle-Abbau leben?

Wie wird sichergestellt, dass sie in der Transformation mitgedacht werden?

Was eigentlich kritisch ist:
Mangelnde Verbrauchsreduktion und Verantwortungsübernahme der EU

In den Gesprächen mit der südafrikanischen Zivilgesellschaft, die mit den diversen negativen Auswirkungen entlang der Rohstoffflüsse, von Abbau über Weiterverarbeitung bis zum Transport, konfrontiert sind oder sich aktiv für eine gerechte Transformation in Südafrika einsetzen, wird immer wieder betont:

Die Ära der Verantwortungslosigkeit, des Wegschauens und des Ignorierens muss ein Ende haben.

Ja, innerhalb der Transformation ins post-fossile Zeitalter spielen metallische Rohstoffe eine bedeutende Rolle, dennoch dürfen Metalle, die seitens der EU als „kritisch“ oder „strategisch“ definiert werden, keinen Freifahrtschein für den schnellstmöglichen Abbau bekommen.

In erster Linie muss die Definition eine Mahnung sein, sich mit den bestehenden und aktuellen Herausforderungen entlang metallischer Rohstofflieferketten auseinanderzusetzen.

Denn was wirklich kritisch ist, sind die seit jeher viel zu hohen Verbräuchen der EU, das wissentliche Ignorieren der Auswirkungen in den Regionen des Abbaus und der Weiterverarbeitung und das ebenfalls lebensbedrohliche Überschreiten planetarer Grenzen.

Eine Frage der globalen Gerechtigkeit...

Fahrzeuge pro 1000 Menschen 2022

Deutschland Platz 30 mit 628 Fahrzeugen

Südafrika Platz 108 mit 176 Fahrzeugen

Staubig-bedrückende Rückblende

Ich erinnere mich an meinen Nachmittag in Saldanha.

Als ich neben Kyle saß, er mir zwischen Wut und Trauer von all seinen Sorgen berichtete. Den Befürchtungen durch den schwarzen Manganstaub krank zu werden. Die Angst vor finanziellen Einbußen, weil Tourist*innen fernbleiben. Die Sorgen, um die Zukunft.

Ich erinnere mich, wie er neben mir im Auto saß, als wir durch die rostrote Mondlandschaft Saldanhas fuhren und er mir sagte:

“Weißt du Hannah, ich würde nicht sagen, dass ich völlig deprimiert bin, aber seitdem wir hier leben, macht es was mit mir.“

Er meint den Staub. Er legt sich nieder, nicht nur auf den Häusern, den Straßen und den Sonnenschirmen, er legt sich nieder in den Körpern der Bewohner*innen und Arbeiter*innen der Region. Den Körpern entlang der Bahnstrecke von Sishen bis Saldanha. Obwohl ich nur einen Nachmittag an diesem Ort war, fühle ich mich selbst wie von einer seichten, erdrückenden Staubschicht umgeben.

Mir fällt es schwer adäquat zu antworten.

“Es ist auch unser Staub”, sage ich.

Gefördert durch

mit Mitteln des

Für den Inhalt dieser Publikation sind die Herausgeber verantwortlich; die hier
dargestellten Positionen geben nicht den Standpunkt von Engagement Global oder des
Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wieder.