Zwischen Anspruch und Ausbeutung

Europas handelspolitische Strategie zur Rohstoffsicherung

Wir befinden uns an einem Scheideweg: Schaffen wir es, in Deutschland und der Europäischen Union (EU) unseren Beitrag zu leisten, um die Erderwärmung bei etwa 1,5°C zu stoppen oder bewegen wir uns weiter auf dem eingeschlagenen Pfad, eines bis zu 3°C heißeren Planeten.

Trotz ambitionierter Maßnahmenpakete, die die EU-Kommission in den letzten Jahren ins Leben gerufen hat – der Europäische Grüne Deal , NextGenerationEU , der Grüne Industrieplan  – nehmen die europäischen Treibhausgasemissionen nicht schnell genug ab.

Ein vollständiger Abschied von fossilen Energieträgern (Dekarbonisierung ) ist unumgänglich, wenn wir eine einigermaßen lebenswerte Zukunft sicherstellen wollen. Industrie, Energieversorger und der Transportsektor müssen auf erneuerbare Energien umgestellt werden - weltweit. Ein Prozess, der auch als grüne Transformation bezeichnet wird. Gleichzeitig sollen zahlreiche Prozesse und Abläufe digitalisiert werden. Doch die Herausforderungen, diese sogenannte “Zwillingstransformation” (twin transition) aus Energiewende und Digitalisierung zu erreichen, sind groß.

Diese Seite gibt einen Überblick über die handelspolitischen Instrumente und Initiativen, die die Europäische Kommission in den letzten Jahren auf den Weg gebracht hat, um sicherzustellen, dass die europäische Industrie mit den notwendigen mineralischen und metallischen Rohstoffen versorgt ist. Inwieweit diese Maßnahmen den im Folgenden beschriebenen Herausforderungen gewachsen sind, soll am Ende ausgewertet werden.

Dieses Erklärvideo fasst die Erkenntnisse dieser Seite kurz zusammen:

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Eine Zusammenfassung der Inhalte dieser Seite und eine Infokarte finden Sie in unserem Infoposter:

Die Herausforderung der twin transition

Herausforderung 1: El twin transition ist sehr materialintensiv.

Für die Herstellung der notwendigen Technologien wie Windräder und Solarpaneele, vor allem aber für die Mobilitätswende, also Elektroautos und andere elektrisch betriebene Fahrzeuge, werden sehr viele metallische und mineralische Rohstoffe benötigt. Laut Internationaler Energieagentur (IEA) wird sich der Rohstoffbedarf bei Fortsetzung der aktuellen Politik und Nachfrage von 2024 bis 2030 weltweit verdoppeln. Für die EU geht eine Studie im Auftrag der EU-Kommission bei einigen Mineralien sogar von einem mehr als 10-fachen Bedarfsanstieg aus (siehe Schaubild). Dabei rechnet die Studie aber auch Bereiche wie Robotik, Luftfahrt und  Verteidigung ein, deren Versorgung mit Rohstoffen laut Europäischer Kommission ebenfalls prioritär sichergestellt werden muss.

Auch die Digitalisierung ist sehr materialintensiv und führt nicht automatisch zu einer Dematerialisierung. “Ein Beispiel: Berechnungen der DERA zeigen, dass bis zu 150 Mio. Speichermedien (HDD- und SSD-Festplatten sowie Magnetbänder) im Jahr 2018 in Rechenzentren im Einsatz waren. Je nach Datennutzung in der Zukunft könnten es im Jahr 2040 in einem mittleren Szenario bis zu 600 Millionen, im Extremszenario bis zu 26 Milliarden Speichermedien sein. Schon das mittlere Szenario würde die Nutzung der Rohstoffe Platin und Ruthenium über die heutige bergbauliche Produktion heben. Darin nicht inbegriffen sind notwendige Rohstoffe für bauliche Infrastruktur von Rechenzentren und deren Kühlung.”

Dieser massive Nachfrageanstieg muss außerdem vor dem Hintergrund gesehen werden, dass die EU bereits jetzt 25-30% aller weltweit produzierten Metalle konsumiert, obwohl sie nur 6% der Weltbevölkerung ausmacht. Es besteht demnach auch ein Verteilungsproblem, dem im Rahmen einer global gerechten grünen Transformation Rechnung getragen werden müsste.

EU-Nachfrageanstieg ausgewählter Rohstoffe bis 2030, in Prozent

Für das Szenario der hohen Nachfrage geht die Studie von einer schnellen technologischen Umsetzung der Energiewende etc. sowie einem Anwachsen der europäischen Marktanteile an sauberen Technologien und damit einem hohen Materialaufwand aus. Im Fall des Szenarios der geringen Nachfrage vollzieht sich dieser Prozess langsamer und die Nachfrage nach den Endprodukten ist geringer.

Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage von Daten der Europäischen Kommission, 2023

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Herausforderung 2: Die EU ist extrem abhängig vom Import kritischer und strategischer Rohstoffe  aus dem Ausland, vor allem aus China.

Die EU hat und produziert wenige der benötigten Rohstoffe. Gleichzeitig hat sie einen sehr hohen Rohstoffverbrauch. Die Abhängigkeit von den Importen entsprechender Rohstoffe ist also hoch. Deutschland beispielsweise importiert über 90% seiner Rohstoffe, bei Primärmetallen sind es sogar fast 100%. Zudem sind die relevanten Rohstoffvorkommen und ihre Verarbeitung sehr stark auf wenige Länder konzentriert. Viele davon liegen in Schwellenländern und in Ländern des Globalen Südens.

Erklärung zum Schaubild: Die Gewinnungsphase umfasst die Produktion von unverarbeiteten Erzen und Konzentraten. Die Verarbeitungsphase umfasst die Trennung, Veredelung sowie die chemische und metallurgische Modifizierung von Rohstoffen.

Das Schaubild/die Karte erfasst nur strategische und kritische Rohstoffe für die eine Abhängigkeit von über 40% von einem Land besteht. Eine vollständige Übersicht findet sich in den angegebenen Quellen. 

Herkunftsländer unverarbeiteter und verarbeiteter kritischer und strategischer Rohstoffen der EU, Abhängigkeit in Prozent und Haupteinsatzbereiche
Quelle: Eigendarstellung auf Basis von Daten der Europäischen Kommission 2023 y SCRREEN 2023

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Rohstoff Schwere Seltene Erden
Nutzung Permanentmagnete für E-Autos, Autokatalysatoren
Hauptherkunftsland China
Abhängigkeit 100%
Rohstoff Leichte Seltene Erden
Nutzung Permanentmagnete für E-Autos, Autokatalysatoren
Hauptherkunftsland China
Abhängigkeit 85%
Rohstoff Gallium
Nutzung Halbleiter
Hauptherkunftsland China
Abhängigkeit 71%
Rohstoff Germanium
Nutzung Halbleiter, Solarzellen
Hauptherkunftsland China
Abhängigkeit 45%
Rohstoff metallisches Magnesium
Nutzung Industria del automóvil
Hauptherkunftsland China
Abhängigkeit 97%
Rohstoff Scandium
Nutzung Festoxid-Brennstoffzellen
Hauptherkunftsland Großbritannien
Abhängigkeit 92%
Rohstoff Vanadium
Nutzung Stahlindustrie, Nuklearindustrie
Hauptherkunftsland Rusia
Abhängigkeit 44%
Rohstoff bauxita
Nutzung Herstellung von Aluminium zur Nutzung u.a. in der Autoindustrie
Hauptherkunftsland Guinea
Abhängigkeit 63%
Rohstoff Antimon
Nutzung Flammschutzmittel, Bleisäure-Batterien
Hauptherkunftsland Türkei
Abhängigkeit 63%
Rohstoff Bor
Nutzung Glasfaserherstellung
Hauptherkunftsland Türkei
Abhängigkeit 99%
Rohstoff Feldspat
Nutzung Glas- und Keramikproduktion
Hauptherkunftsland Türkei
Abhängigkeit 51%
Rohstoff Hafnium
Nutzung Superlegierungen, Kerntechnik
Hauptherkunftsland Frankreich
Abhängigkeit 76%
Rohstoff Strontium
Nutzung elektronische Industrie, Glasherstellung u.a.
Hauptherkunftsland Spanien
Abhängigkeit 99%
Rohstoff Lithium
Nutzung Glas- und Keramikbeschichtungen, Batterietechnik
Hauptherkunftsland Chile
Abhängigkeit 79%
Rohstoff manganeso
Nutzung chemische Industrie, Desoxidations- und Desulfurisierungsmittel sowie Legierungsbestandteil
Hauptherkunftsland Sudáfrica
Abhängigkeit 41%
Rohstoff natürliches Graphit
Nutzung Stahlindustrie, Batterieherstellung
Hauptherkunftsland China
Abhängigkeit 40%
Rohstoff Niob
Nutzung Edelstahlherstellung/Stahlhärter, Autoindustrie
Hauptherkunftsland Brasil
Abhängigkeit 92%
Rohstoff Phosphor
Nutzung Chemische Industrie, Düngemittel
Hauptherkunftsland Kasachstan
Abhängigkeit 65%
Rohstoff Nickel
Nutzung Herstellung von Edelstahl, Metallbeschichtungen, Batterieproduktion
Hauptherkunftsland Kanada
Abhängigkeit 59%

Herausforderung 3: Auch bei Zwischen- und Endprodukten einiger sauberer Technologien ist die EU stark abhängig von Importen, vor allem aus China.

Die folgenden Grafiken zeigen beispielhaft für einige Sektoren die Produktionsanteile für ausgewählte Technologien und die Engpässe, die die EU im Bereich der Lithiumbatterien aufgrund der Marktmacht Chinas treffen könnten.

Fertigungsanteile für ausgewählte Technologien und Komponenten nach Weltregion, in Prozent
Quelle: Eigendarstellung auf Grundlage von Daten der Europäischen Kommission, 2023
Versorgungsengpässe und Hauptakteure entlang der Lithiumbatterien-Lieferkette

Herausforderung 4: Die EU steht in einem globalen Wettbewerb um den Zugang zu kritischen Rohstoffen.

Weltweit haben bereits 131 Länder erklärt, CO2- bzw. klimaneutral werden zu wollen. Dadurch steigt der Wettbewerb um den Zugang zu den endlichen Ressourcen, die für die grüne Transformation benötigt werden. Gleichzeitig ist ein Rennen um die Marktführerschaft in den Bereichen Digitalisierung und saubere Technologien ausgebrochen. Dazu haben wirtschaftliche Schwergewichte wie China (Made in China 2025 ) und die USA (Inflation Reduction Act ) massive Subventionsprogramme auf den Weg gebracht, die sowohl die Herstellung von entsprechenden Technologien als auch die Umstellung auf eine CO2-neutrale Industrieproduktion, E-Autos etc. erleichtern soll.


131 Länder haben bereits erklärt, CO2- bzw. klimaneutral werden zu wollen.
Quelle: eigene Darstellung von Daten der factsonclimate.org

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Herausforderung 5: Die EU muss sicherstellen, dass ihre verstärkte Nachfrage nach Rohstoffen nicht zu einer Zunahme an sozialen Konflikten, Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung in rohstoffreichen Ländern führt.

Der Wettlauf um mineralische und metallische Rohstoffe für die grüne Transformation wird vor allem zwischen der EU, China und den USA ausgetragen, die bis 2030 für etwa 80% der Produktionskapazitäten für erneuerbare Technologien verantwortlich sein könnten. Die Rohstoffe wiederum werden zum Großteil aus Ländern Lateinamerikas, Afrikas und Asiens kommen. Dabei exportieren sie jetzt schon Rohstoffe im großen Stil. So ist Brasilien der drittgrößte Zulieferer der EU für kritische Rohstoffe. Laut African Climate Foundation liegt der Anteil von mineralischen und metallischen Rohstoffen an der Gesamtheit exportierter Produkte in 23 afrikanischen Länder bei über 30%, bei einigen von ihnen, wie Sambia, der Demokratischen Republik Kongo und Botswana, sogar über 75%. Derselbe informe weist darauf hin, dass:

"(...) in den meisten afrikanischen Ländern die „dunklen Seiten der Energiewende“ immer deutlicher sichtbar (werden): lokale Verschmutzung von Boden, Luft und Wasser, Entsorgung giftiger Rückstände, intensive Nutzung von Wasser und Energie, Arbeits- und Umweltrisiken, Kinderarbeit und sexueller Missbrauch sowie Korruption und bewaffnete Konflikte. (...) Diese sozialen und ökologischen Probleme werden angesichts des zunehmenden Drucks auf die Gewinnung kritischer Mineralien durch die großen Industrieländer zunehmend unhaltbar werden."

Die beschriebenen Probleme im Zusammenhang mit Bergbauaktivitäten sind ein weltweites Phänomen. Der Transition Minerals Tracker zählt zwischen 2010 und 2023 über 630 bekannte Fälle von Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit dem Abbau von Mineralien für die grüne Transformation. Fast die Hälfte aller Vorfälle geht dabei auf den Abbau von Kupfer zurück.

Bergbau ist nicht nur ein konfliktträchtiges, sondern auch gefährliches Geschäft, wo selbst vor Mord nicht zurückgeschreckt wird. Auch in der Mordstatistik im Zusammenhang mit Bergabauaktivitäten führt Lateinamerika das traurige Ranking an. 50% aller Morde, die mit Bergbau in Verbindung stehen, fanden auf diesem Kontinent statt, gefolgt von Asien mit 40%. Zudem ist der Bergbausektor bekannt für seine Korruptionsanfälligkeit. Laut eines OECD-Berichts von 2016 standen 20% aller internationalen Bestechungsversuche in Zusammenhang mit bergbaulichen Aktivitäten. Auch wird Bergbauunternehmen vorgeworfen, Steuerhinterziehung zu betreiben und an illegalen Finanzflüssen beteiligt zu sein, deren Aktivitäten durch europäische Steuerparadiese wie Luxemburg oder die Niederlande begünstigt werden.

Insofern besteht die Gefahr, dass die Zunahme bergbaulicher Aktivitäten aufgrund des massiven Nachfrageanstiegs nach mineralischen und metallischen Rohstoffen die beschriebenen Probleme vergrößern wird.

Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen im Rahmen von Bergbau für Mineralien der grünen Transformation
Die Fallzahlen stellen Verletzungen beim Abbau der folgenden Rohstoffe dar: Bauxit, Kobalt, Kupfer, Lithium, Mangan, Nickel und Zink.
Quelle: Eigendarstellung auf Basis des Transition Minerals Tracker, Business and Human Rights Resource Centre, 2024

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Herausforderung 6: Die europäische twin transition darf nicht zu einer Zunahme globaler Ungleichheiten führen.

Die Europäische Kommission hat sich mit ihrem Europäischen Grünen Deal zum Ziel gesetzt, die grüne Transformation global gerecht zu gestalten und “Niemanden, weder Mensch noch Region, im Stich zu lassen”. Das gilt auch für die rohstoffreichen Länder des globalen Südens. Doch solange es nicht gelingt, deren Abhängigkeit von Rohstoffexporten zu überwinden, wird die grüne Transformation ein ungerechter Prozess bleiben. Dazu gehört auch, anzuerkennen, dass Länder mit einem hohen Einkommen einen bis zu sechs Mal höheren Materialverbrauch haben, als Länder mit geringem Pro-Kopf-Einkommen. Gleiches gilt für die aktuelle wie historische Schuld am Klimawandel. Insofern müssen entsprechende Transformationsprozesse Ländern des globalen Südens politische Spielräume sowie finanzielle und technische Unterstützung gewähren, um nicht weiterhin allein als Rohstofflieferant zu dienen, sondern von den eigenen Rohstoffen profitieren zu können. Zum anderen muss in der EU ein Prozess angestoßen werden, der die Energiewende mit einer Reduktion des Rohstoffverbrauchs verbindet.

Die europäische Bewältigungsstrategie

Die Antwort der Europäischen Kommission auf die beschriebenen Herausforderungen zur Sicherung von Rohstoffen und Zwischenprodukten für die twin transition besteht aus der Erarbeitung und Umsetzung eines umfassenden Maßnahmenpaketes, deren Initiativen sich maßgeblich auf die europäische Handelspolitik auswirken.

Timeline der zentralen Initiativen der Europäischen Kommission zur Rohstoffsicherung mit Auswirkung auf die Handelspolitik

Quelle: Eigendarstellung auf Grundlage von Veröffentlichungen der EU-Kommission

Ein zentraler Baustein dieses Fahrplans ist das Gesetz zu kritischen Rohstoffen (Critical Raw Materials Act ), das im April 2024 verabschiedet wurde.

Um dieses Gesetz effektiv umsetzen zu können, ist die EU auf einen Ausbau der Handelsbeziehungen mit rohstoffreichen Ländern angewiesen. In den Worten der Europäischen Kommission: “Internationaler Handel ist zentral für die Unterstützung globaler Produktion und die Sicherstellung einer diversifizierten Versorgung”. Dazu hat die Europäische Kommission verschiedene handelspolitische Instrumente auf den Weg gebracht: Handelsabkommen mit eigenen Energie- und Rohstoffkapiteln, strategische Rohstoffpartnerschaften sowie weitere Partnerschaften spezifisch zu Wasserstoff und erneuerbaren Energien (z.B. mit Uruguay) und die Global Gateway-Strategie. Auch ein Abkommen zur Förderung nachhaltiger Investitionen (Sustainable Investment Facilitation Agreement) wurde kürzlich vereinbart. Zudem sollen unfaire Handelspraktiken und -beschränkungen bekämpft und gemeinsam mit den Mitgliedstaaten Exportkreditgarantien  und weitere finanzielle Unterstützungsleistungen auf den Weg gebracht werden, um Investitionen im Ausland abzusichern und zu fördern. Ebenfalls wichtig ist ein von den USA geschaffenes Austauschforum zwischen Export- und Importländern von kritischen Rohstoffen, das Minerals Security Partnership (MSP) Forum .

Wie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ankündigte, wird diesen Instrumenten in der kommenden Legislaturperiode 2024-2029 ein weiteres hinzugefügt, dessen genaue Ausgestaltung noch nicht bekannt ist:

Um den Zugang zu Rohstoffen zu sichern, die wir für den Aufbau diversifizierter und widerstandsfähiger Lieferketten benötigen, werden wir auch eine neue Reihe von sauberen Handels- und Investitionspartnerschaften (clean trade and investment partnerships, CTIPs) entwickeln (...).

Die CTIPs sind Teil des sauberen Industrieplans (Clean Industrial Deal), dessen Erarbeitung Ursula von der Leyen für die ersten 100 Tage ihres Mandats versprochen hat.

Diese Instrumente sollen gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen (nationale wie internationale) schaffen, europäische Firmen im Wettbewerb um Rohstoffmärkte anderer Länder gut positionieren und sowohl für die europäische als auch für die Wirtschaft des rohstoffreichen Landes von Vorteil sein, sprich sogenannte “win-win Partnerschaften” etablieren. Zudem sollen sie einen Beitrag zur Umsetzung der twin transition auf globaler Ebene leisten.

Die Frage steht im Raum, ob die genannten handelspolitischen Instrumente diesen Ansprüchen und den oben aufgeführten Herausforderungen gerecht werden. Dazu werden wir sie einzeln unter die Lupe nehmen.

Interaktive Karte: Das Netz handelspolitischer Initiativen für die europäische Rohstoffsicherung
Status des Abkommens oder der Partnerschaft
Global Gateway Projekte im Bereich Klima und Energie 2023 – 2025 (nach Weltregion)

JS Controller – Schaubild 7

Acuerdos comerciales

In Anbetracht der Abhängigkeit der EU von importierten Rohstoffen spielt der Zugang diesen eine entscheidende Rolle für die Wettbewerbsfähigkeit der EU. Der Zugang kann verbessert werden, indem in Handelsabkommen Regeln zum diskriminierungsfreien Zugang und zum Transit festgelegt werden, indem gegen Lokalisierungsauflagen  vorgegangen wird, indem die Energieeffizienz und der Handel mit erneuerbaren Energien gefördert werden und indem sichergestellt wird, dass staatseigene Unternehmen gemäß Marktprinzipien im Wettbewerb mit sonstigen Unternehmen stehen und für sie dieselben Bedingungen herrschen. (...) Die Kommission wird (...) für jedes Handelsabkommen ein Kapitel zu Energie und Rohstoffen vorschlagen.

—Aus der “Handel für Alle-Strategie” der EU-Kommission, 2015

Banderas de la UE frente al Parlamento Europeo.

Banderas de la UE frente al Parlamento Europeo.

Seit ihrer 'Handel für alle-Strategie' aus dem Jahr 2015 integriert die EU spezifische Energie- und Rohstoffkapitel in ihre Handelsabkommen. Die Förderung des Handels mit Rohstoffen erfolgt nicht allein über diese Kapitel. Handelsabkommen sind prinzipiell dazu gedacht, den Austausch möglichst aller exportierten und importierten Waren und Dienstleistungen zu vereinfachen und zu vergünstigen. Dies geschieht vor allem über den Abbau von Zöllen und anderen als Handelshemmnissen verstandenen Abgaben (z.B. Exportsteuern) und Auflagen (z.B. hinsichtlich technischer Standards, oder auch Auflagen zur Anstellung inländischer Arbeitnehmer*innen oder zur Nutzung lokaler Vorprodukte). Insofern sind diese Abkommen besonders für große, international agierende Unternehmen von Bedeutung, die sich davon weniger Kontrollen und ungehinderten Marktzugang sowie gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen in einem Land erhoffen. Das bedeutet aber auch, dass nationale bzw. lokale Betriebe, die nicht die gleiche technische Ausstattung aufweisen wie global agierende Konzerne, häufig ins Hintertreffen geraten. Zudem weist das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) darauf hin, dass gerade rohstoffreiche und -exportierende Länder mit den Umweltfolgen ihres extraktiven Handelsmodells zu kämpfen haben. Handelsabkommen verschärfen aber den Druck auf die Umwelt in den rohstoffreichen Ländern, ohne zu garantieren, dass die lokale Bevölkerung vom Abbau der Rohstoffe profitiert. Einige Kapitel in den Handelsabkommen der EU stehen dafür exemplarisch:

Energie- und Rohstoffkapitel (Energy and Raw Materials Chapters, ERM)

Erklärtes Ziel der ERM ist es, den Zugang zu Energie und Rohstoffen sowie nachhaltige Entwicklung (insbesondere im Bereich der erneuerbaren Energie) zu fördern. Dazu sollen Barrieren für Handel und Investitionen im Energiesektor gesenkt und staatliche Maßnahmen und Regularien, die den Wettbewerb verzerren oder Handel behindern, abgeschafft werden. Es geht in den ERM jedoch nicht nur um die Sicherung des Zugangs zu kritischen Rohstoffen, sondern auch zu fossilen Energieträgern wie Erdöl und Erdgas. Die Texte und Reichweite der ERM in den jeweiligen Abkommen sind nicht identisch. Die Grundstruktur und ihre Ziele sind aber immer die gleichen.

Die ERM-Kapitel enthalten Klauseln, die:

  1. Import- und Exportbeschränkungen, inklusive jeglicher Exportverbote und Exportsteuern oder anderer Abgaben auf Rohstoffe verbieten.
  2. Import- und Exportmonopole für bestimmte Rohstoffe verbieten
  3. eine staatliche Preisfestsetzung für den Export von Rohstoffen verbieten, sprich: es darf keinen Unterschied zwischen dem Preis für einen Rohstoff auf dem nationalen Markt und dessen Exportpreis geben.
  4. den Zugang europäischer Unternehmen zur Energie-Transportinfrastruktur garantieren sollen.

Eine ausführliche Beschreibung dieser Bestimmungen findet sich in den folgenden Veröffentlichungen von PowerShift:

Liberalisierung von Investitionen

Generell enthalten die Handelsabkommen der EU Bestimmungen, die es europäischen Unternehmen einfacher machen sollen, Investitionen im Partnerland zu tätigen. Ein zentrales Kapitel dafür ist jenes über die Liberalisierung von Investitionen. Besonders interessant für den Rohstoffbereich ist dabei das Verbot, sogenannte Leistungsanforderungen (performance requirements) an Investoren zu stellen. Das bedeutet, dass die Durchführung von Projekten oder Investitionen im Land nicht an Bedingungen wie Technologie- oder Wissenstransfer gebunden sein dürfen. Zudem dürfen Unternehmen nicht dazu verpflichtet werden, einen bestimmten Prozentsatz der Verarbeitung im Land zu tätigen, lokale Produkte für die Weiterverarbeitung zu nutzen (domestic content) oder eine bestimmte Anzahl an Arbeitsplätzen für die Menschen vor Ort zu schaffen. Dadurch fördern Handelsabkommen zwar ausländische Investitionen, diese dienen aber nicht der lokalen Bevölkerung, sondern vor allem den investierenden Unternehmen.

Protección de las inversiones

Sowohl das Handelsabkommen mit Mexiko als auch jenes mit Chile enthalten ein Kapitel zum "Investitionsschutz". Dieses gewährt ausländischen Investoren das exklusive Recht, Staaten vor internationalen Schiedstribunalen auf Entschädigungszahlungen in Millionen- und sogar Milliardenhöhe zu verklagen, wenn ihre Unternehmungen durch staatliche Regulation behindert, eingeschränkt oder gar wertlos werden. Dazu gehört auch die Aufkündigung einer Bergbaulizenz aus Umweltbedenken oder aufgrund sozialer Konflikte. In den letzten Jahren haben diese sogenannten Investor-Staat-Schiedsverfahren (Investor-State Dispute Settlement, ISDS), die mit Bergbau in Verbindung stehen, stark zugenommen. Eine 2023 veröffentlichte estudio der Beratungsfirma CharlesRiver Associates geht davon aus, dass sich dieser Trend aufgrund der steigenden Nachfrage nach Mineralien für die grüne Transformation noch verschärfen wird. Nach Gold – das jedoch kein kritischer Rohstoff ist – sind Konflikte zwischen Investor und Staat vor allem im Zusammenhang mit Kupferminen bedeutsam. Lateinamerika ist dabei bereits jetzt der am meisten von Bergbauunternehmen beklagte Kontinent. Fast 45% der zwischen 2016 und 2022 registrierten ISDS-Klagen im Bergbausektor richten sich gegen Länder Lateinamerikas, darunter auch Chile und Mexiko. Klagen können ebenso kommen, wenn Staaten neue Vorschriften zum Umwelt- und Klimaschutz erlassen, die die Gewinnaussichten der Investoren beeinträchtigen. Wie häufig dies bereits passiert, zeigt der “Global ISDS Tracker” eindrücklich. Dieser dokumentiert 129 ISDS-Klagen, die mit staatlichen Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen in Verbindung stehen.

In der Mehrzahl der derzeit 1368 bekannten ISDS-Klagen weltweit (Stand Februar 2025) profitieren Investoren, sei es, weil ihnen das Tribunal Recht gibt, oder sie sich mit dem Staat auf eine geeignete Kompensation einigen. Die Entschädigungszahlungen, die Investoren von Schiedstribunalen zugesprochen bekommen, lagen in den letzten Jahren im Schnitt bei über 250 Millionen US-Dollar - Geld, das den Staaten dann für Ausgaben im Bildungs- und Gesundheitsbereich und auch bei der Energiewende fehlt.

Die Investitionsschutzkapitel in den Abkommen mit Chile und Mexiko würden die derzeit bestehenden bilateralen Investitionsabkommen (Bilateral Investment Treaties, BIT) zwischen EU-Mitgliedsstaaten und den beiden Ländern ersetzen. Gleichzeitig weiten sie den Investitionsschutz auf jene Länder aus, die keine BIT mit Chile oder Mexiko haben. Im Fall von Chile bedeutet dies, dass Unternehmen aus zwölf weiteren EU-Mitgliedsstaaten die Möglichkeit haben, das Land vor einem Schiedsgericht zu verklagen. Im Fall von México sind es sogar 13.

Fazit
Handelsabkommen fördern vor allem global agierende Unternehmen der Europäischen Union, einer global gerechten grünen Transformation stehen sie jedoch im Weg.

Strategische Rohstoffpartnerschaften

Angekündigt in ihrem Rohstoffaktionsplan 2020, begann die Europäische Kommission ab 2021, Vereinbarungen über eine Zusammenarbeit im Rohstoffsektor mit rohstoffreichen Ländern zu unterzeichnen. Thierry Breton, vormals EU-Binnenmarkt-Kommissar, beschrieb diese Partnerschaftsabkommen als komplementär zu den EU-Handelsabkommen. Obwohl sie nicht rechtlich bindend sind, stellen sie ein „politisches Rahmenwerk für konkrete bilaterale Kooperation im Rohstoff-Bereich“ dar.

Laut Aktionsplan soll mit den strategischen Rohstoffpartnerschaften eine diversifizierte und nachhaltige Versorgung mit kritischen Rohstoffen sichergestellt werden. Gleichermaßen möchte die EU den rohstoffreichen Ländern bei der nachhaltigen Entwicklung ihrer Bodenschätze behilflich sein, indem sie eine verbesserte lokale Regierungsführung und die Verbreitung verantwortungsbewusster Bergbaupraktiken unterstützt, die ihrerseits zur Wertschöpfung im Bergbausektor beitragen und die wirtschaftliche und soziale Entwicklung vorantreiben.”

Seit 2021 hat die EU-Kommission 14 solcher Partnerschaften ins Leben gerufen (Stand Februar 2025), und zwar mit: Serbien (2024), Australien (2024), Usbekistan (2024), Ruanda (2024), Norwegen (2024), Grönland (2023), der Demokratischen Republik Kongo (2023), Sambia (2023), Chile (2023), Argentinien (2023), Namibia (2022), Kasachstan (2022), Ukraine (2021), Kanada (2021). Und weitere sollen folgen.

Eingangs stellen diese Partnerschaften nur eine lose, nicht völkerrechtlich bindende Vereinbarung über Zusammenarbeit im Rohstoffsektor dar. Dabei ist die Grundstruktur der jeweiligen Partnerschaften sehr ähnlich und soll entlang folgender Leitlinien verlaufen:

  • verstärkte Kooperation im Bereich nachhaltiger Wertschöpfungsketten für Rohstoffe (in einigen Fällen auch bei Wasserstoff (Chile) und E-Batterien (Serbien), inkl. der Durchsetzung von Handelserleichterungen;
  • Zusammenarbeit und ggf. Mobilisierung von Finanzmitteln für den Infrastrukturausbau und die Erschließung neuer Bergbauprojekte;
  • Zusammenarbeit zur Erreichung einer nachhaltigen und verantwortungsvollen Produktion von Rohstoffen sowie ggf. Unterstützung beim Aufbau von Kapazitäten zur Weiterverarbeitung;
  • Zusammenarbeit in Forschung und Innovation und ggf. im Bereich der “guten Regierungsführung” (good governance).

Innerhalb der folgenden sechs Monate nach Abschluss der Partnerschaft soll ein Fahrplan mit konkreten Bereichen und Projekten für die Zusammenarbeit erstellt werden. Doch obwohl die Unterzeichnung fast aller Partnerschaften mehr als sechs Monate zurückliegt, sind bislang nur zwei Fahrpläne öffentlich zugänglich: mit der Ukraine y mit der DRC. Bei der Lektüre der Vereinbarungen wie auch des Fahrplans wird ersichtlich, worum es der EU vor allem geht:

  1. ihre eigene Versorgung mit Rohstoffen sicherzustellen.
  2. europäische Unternehmen im globalen Wettbewerb um Zugang und Nutzung entsprechender Rohstoffe besser zu positionieren.

Zu diesem Schluss kommt auch eine Studie der Friedrich-Ebert Stiftung (2024). Eine weitere análisis von 11 Nichtregierungsorganisationen und zivilgesellschaftlichen Bündnissen (2023) kritisiert zudem, dass:

  1. die Vereinbarungen so allgemein gehalten sind, dass sie die tatsächlichen Bedürfnisse und Gegebenheiten der jeweiligen Partnerländer nicht widerspiegeln.
  2. weder im Verhandlungsprozess noch danach zivilgesellschaftliche Akteure in die Umsetzung eingebunden sind und insgesamt keine Transparenz in Bezug auf die strategischen Rohstoffpartnerschaften besteht.
  3. keinerlei Verbindlichkeit bei der Einhaltung von menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten besteht, sondern nur vage formuliert wird, dass darauf geachtet werden soll. Konkrete Maßnahmen und Kontrollen werden nicht genannt.
  4. die Unterstützung im Aufbau eigener Wertschöpfungsketten in den rohstoffreichen Ländern ebenso oberflächlich formuliert wird.

Tatsächlich dürfte gerade die Förderung von Wertschöpfungsketten in den rohstoffreichen Ländern durch die völkerrechtlich bindenden und zudem mit Sanktionsmöglichkeiten versehenen Handelsabkommen behindert werden. Denn diese legen den rohstoffreichen Ländern viele Steine bei der Ausgestaltung ihrer eigenen Rohstoffstrategie in den Weg.

Fazit
Strategische Rohstoffpartnerschaften enthalten häufig undifferenzierte Absichtserklärungen, deren konkrete Umsetzung, besonders im Bereich der umweltbezogenen und menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten, unklar bleibt.

Global Gateway

Die Global-Gateway-Strategie wurde 2021 von der Europäischen Kommission ins Leben gerufen. Es handelt sich laut eigenen Angaben um eine großangelegte Initiative, mit der die EU ihren Beitrag zur inzwischen auf 15 Billionen US Dollar angewachsenen Finanzierungslücke für Infrastrukturprojekte weltweit leisten will - vornehmlich in den Bereichen Klima-, Energie-, Verkehrs- und digitaler Infrastruktur sowie im Gesundheits- und Bildungsbereich. Zudem ist es ein Gegenangebot zur chinesischen Neuen Seidenstraße (Belt and Road Initiative) und soll die EU gerade in den Regionen stärken, wo chinesische Investoren massiv an Einfluss gewonnen haben. Obwohl der Fokus auf der Förderung und Finanzierung physischer Infrastruktur liegt, sollen gleichermaßen auch die notwendigen Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden, dass die Projekte zu den gewünschten Ergebnissen führen, indem u.a. “attraktive Investitions- und unternehmensfreundliche Handelsbedingungen” etabliert werden.

Die EU wird mit ihrer Unterstützung für andere auch dazu beitragen, ihre eigenen Interessen zu fördern, die Resilienz ihrer Lieferketten zu stärken und für die EU-Wirtschaft, in der etwa 38 Millionen Arbeitsplätze vom internationalen Handel abhängen, mehr Handelsmöglichkeiten zu erschließen.

Europäischen Kommission (2021)

Banderas de la UE frente al Parlamento Europeo.

Banderas de la UE frente al Parlamento Europeo.

Bild von Teilnehmer des Global Gateway Forums 2023

Teilnehmer*innen des Global Gateway Forums 2023. © European Union, 2023 CC-BY-4.0

Global Gateway ist zudem ein zentrales Element der europäischen Entwicklungszusammenarbeit und wird mehrfach im Rahmen des EU “Aid for Trade”-Fortschrittsberichtes (2024) genannt. Die “Aid for Trade”-Strategie der Europäischen Union sieht vor, Entwicklungsfinanzierung an Bekenntnisse zur Marktöffnung und konkrete Investitionsmöglichkeiten für europäische Unternehmen zu knüpfen. Insofern dient Global Gateway auch als Türöffner für Unternehmen und Produkte aus Europa. In diesem Zusammenhang wird es als “Paradigmenwechsel” präsentiert. Denn anstatt direkt Gelder für den Bau von Schulen zur Verfügung zu stellen, würde man über eine enge Verzahnung von staatlichem Geld für die Entwicklungsfinanzierung und privaten Investitionen vermeintlich bessere Ergebnisse erzielen, so Marlene Holzner, Referatsleiterin im Bereich Internationale Partnerschaften der Europäischen Kommission. Deswegen ist der Privatsektor bei der Umsetzung von Global Gateway entscheidend und wird entsprechend umworben. So sind Geschäfts- und Finanzierungsmöglichkeiten für Investoren übersichtlich auf einer gesonderten Seite zusammengefasst. Auch organisiert die Europäische Kommission regelmäßig “business fora”, um Investoren mit politischen Entscheidungsträger*innen und anderen relevanten Stakeholdern aus strategisch interessanten Ländern zusammenzubringen und Partnerschaften zu verkünden (siehe bspw. Mauretanien y México). Mithilfe dieser Initiativen und eines Zusammenspiels aus öffentlichen und privaten Geldern sollen so zwischen 2021 und 2027 300 Milliarden Euro aufgebracht werden, wovon die Hälfte in afrikanische Länder und weitere 45 Milliarden nach latín gehen sollen. Um Investoren für entsprechende Projekte zu gewinnen, bedient sich die EU verschiedener Finanzierungsinstrumente, um die Kosten und Risiken für die Investoren zu minimieren. Dabei kommt ein Großteil der Gelder, die bspw. als Kreditgarantien zur Verfügung gestellt werden, aus dem Hauptinstrument der EU für Entwicklungszusammenarbeit, dem “Neighbourhood, Development and International Cooperation Instrument – Global Europe (NDICI-GE). Diese Gelder werden durch Förderungen der Finanz- und Entwicklungsfinanzierungsinstitutionen der 27 Mitgliedsstaaten ergänzt.

Erste konkrete “Flaggschiff-Projekte” wurden 2023 präsentiert. In diesem Jahr stellte die EU-Kommission 90 Projekte in Afrika, Asien und Lateinamerika vor, die im Rahmen von Global Gateway entwickelt werden sollten. 2024 wurden 138 Projekte und für 2025 46 weitere hinzugefügt.

Global Gateway-Projekte nach Region, 2023 – 2025
Quelle: Eigendarstellung auf Basis von Eurodad, Oxfam, Counterbalance, 2024 y EU-Rat, 2024

JS Controller

Fast 50% aller Projekte 2023 und 2024 ordnete die EU-Kommission dem Bereich “Klima und Energie” zu, wobei es vor allem um Förderung von grünem Wasserstoff, Abbau von kritischen Rohstoffen, den Aufbau von Hochspannungsleitungen, Stromgeneratoren, von Windkraftanlagen und Solarpaneelen geht. 22% der Projekte betreffen den Transportsektor und 13% Digitalisierung. Nur 16% lassen sich dem Bereich Bildung und Gesundheit zuordnen. Ein Trend, der sich auch in der Auswahl der Projekte 2025 fortsetzt. Entscheidungen über die Aufnahme von Projekten als “Flaggschiffe” im Rahmen von Global Gateway werden von einer spezifischen Arbeitsgruppe unter Vorsitz der jeweiligen EU-Präsidentschaft getroffen. Strategisch beraten werden sie dabei durch das “Global Gateway Board”, dem die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorsitzt. Mitgliedsstaaten und andere EU-Institutionen, inklusive der Finanzinstitute, können ebenfalls Vorschläge machen. Nach welchen Kriterien die Projekte ausgesucht werden, ist unklar. Insgesamt geht die Europäische Kommission sehr sparsam mit Informationen zu konkreten Projekten um, teilweise sind die Titel so allgemein gehalten (“Kritische Rohstoffe in Zentralasien”), dass es unmöglich ist zu wissen, worum es konkret gehen soll. Zudem existierten eine Reihe von Projekten bereits vor dem Beginn von Global Gateway und wurden nun unter dessen Dach zusammengefasst.

Teil der Funktionsstruktur von Global Gateway sind auch zwei ratgebende Gruppen: Die Global Gateway Business Advisory Group (BAG) und die Beratungsplattform der Zivilgesellschaft und der lokalen Behörden des Global Gateway (CSP).

Die BAG besteht aus 59 europäischen, international agierenden Unternehmen und Unternehmensverbänden, darunter auch die deutsche Post/DHL, Siemens, Bayer und die Allianz. Aus welchen Gründen diese Unternehmen und Verbände ausgewählt wurden, ist nicht ersichtlich. Ihr uneigennütziger Einsatz für Umwelt-, Klima- und Menschenrechtsschutz oder ihr Beitrag zur Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung kann jedenfalls nicht der Grund gewesen sein. Denn 11 dieser Unternehmen haben bereits eine oder mehrere Konzernklagen vor Schiedstribunalen durchgeführt und zwar fast ausschließlich gegen Länder, die auf der offiziellen Liste der “Entwicklungsländer” stehen.

ISDS-Klagen von Unternehmen aus der Global Gateway Business Advisory Group

Quelle: Eigendarstellung auf Basis des UNCTAD Investment Policy Hub, TNI 2024

Sieben Unternehmen der BAG haben schon von konkreten Verträgen im Rahmen von GG-Projekte profitiert: Moller Maersk, Enel, Meridiam, Orange, Nokia, Total Energies, Siemens. Fünf davon haben Länder des Globalen Südens bereits vor Investor-Staat-Schiedstribunalen verklagt.

Einige Unternehmen, die Staaten vor exklusiven Schiedstribunalen verklagen, sind auch dafür bekannt, Menschenrechte zu verletzen, die Umwelt zu zerstören und Menschen von ihrem Land zu vertreiben oder Regierungen für Aufträge zu bestechen. Dasselbe trifft auch auf andere Unternehmen dieser Advisory Group zu, wie beispielsweise Bayer, das seit Jahren in der Kritik steht, weil es in der EU aufgrund ihrer Gefährlichkeit verbotene Pestizide nach wie vor in großen Mengen in andere Länder exportiert.

Fraglich ist, inwieweit diese Unternehmen glaubwürdig die Kernprinzipien von Global Gateway vertreten können, darunter: Demokratische Werte und hohe Standards, gute Regierungsführung und Transparenz, Etablierung von Partnerschaften auf Augenhöhe. Vielmehr scheint das BAG ein weiterer Raum für Unternehmen zu sein, um ihre Interessen uneingeschränkt und privilegiert kommunizieren zu können.

Im Gegensatz zum BAG spielt das 57 Mitglieder umfassende CSP eine wesentlich geringere Rolle. Zudem bemängeln Mitglieder die geringe Transparenz nicht nur hinsichtlich der Auswahl der Mitglieder in der BAG und der CSP, sondern auch hinsichtlich der Projekte selbst. So kritisiert ein Vertreter der Africa Platform:

Die Kommission scheint den zivilgesellschaftlichen Organisationen lediglich eine Überwachungsfunktion zugewiesen zu haben, wobei sie davon ausgeht, dass sie mit den Projekten oder ihrem Ansatz einverstanden sind. Und sie war auch nicht bereit, die Zivilgesellschaft in die Ermittlung von Projekten mit eindeutigen multiplizierbaren Entwicklungsergebnissen einzubeziehen. Noch frustrierender ist, dass die Kommission ebenso wenig bereit ist, Einzelheiten darüber mitzuteilen, wie die einzelnen Projekte zustande gekommen sind, oder ob sie tatsächlich von den Partnerstaaten mitgestaltet wurden. Tatsächlich fehlt der Zivilgesellschaft die Macht, Global Gateway an sich zu beeinflussen und ein Überdenken des gesamten Global-Gateway-Konzepts zu bewirken, um es auf Projekte auszurichten, die dem Entwicklungsbedarf der Partnerländer entsprechen.

Und damit nicht genug. Die Kritik an Global Gateway ist umfassend und kommt nicht nur von zivilgesellschaftlicher Seite. Selbst der größte Arbeitgeberverband der EU, BusinessEurope, mahnt mehr Transparenz zu den einzelnen Projekten an, zum Grund für ihre Auswahl, zu ihrem aktuellen Stand, den Geldgebern und Begünstigten. Zivilgesellschaftliche Organisationen kritisieren zudem, dass es sich bei der Initiative um einen Top-Down Ansatz handelt, der inzwischen in der europäischen Entwicklungspolitik dominiert, demokratische Mitsprachemöglichkeiten vermissen lässt und sowohl der interessierten Öffentlichkeit als auch dem Europäischen Parlament keine tatsächliche Teilhabe erlaubt. Anstatt Projekte, die mit Entwicklungsgeldern finanziert werden, an den tatsächlichen Bedarfen der Partnerländer auszurichten, orientieren sie sich an Gewinnmöglichkeiten für Investoren und den strategischen und geopolitischen Interessen der Europäischen Union hinsichtlich der Diversifizierung ihrer Bezugsquellen von Rohstoffen und Energie, aber auch zur Migrationskontrolle. So forderte auch unlängst der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss konkrete Nachhaltigkeitsfolgenabschätzungen sowie eine aktive Einbeziehung der Zivilgesellschaft in Entscheidungsprozesse der Global-Gateway Strategie.

Global Gateway treibt zudem eine Privatisierung von staatlichen Dienstleistungen und Infrastruktur voran. Die Gefahr besteht, dass die Schulden der zum Großteil bereits hochverschuldeten Länder des Globalen Südens dadurch weiter in die Höhe klettern. Das Problem mit dieser Strategie wird von Rilli Lappalainen, Präsident von CONCORD, einem europäischen Zusammenschluss von entwicklungspolitischen NGOs, so zusammengefasst:

Wir sind wirklich schockiert, dass die Vision von DG INTPA für internationale Partnerschaften in den nächsten fünf Jahren im Grunde eine Handels- und Investitionsstrategie für die EU ist, die auf ihren geopolitischen Interessen beruht. Diese Interessen werden durch Wettbewerb und die wirtschaftliche Sicherheit der EU definiert. Nirgendwo sehen wir ein Interesse an den Prioritäten der Partnerländer, geschweige denn ein Interesse daran, dass das Leben der Menschen verbessert wird.

Fazit
Unter dem Deckmantel der Entwicklungszusammenarbeit eröffnet die EU mit ihrer Global-Gateway Strategie europäischen Unternehmen neue Investitionsmöglichkeiten und Gewinnchancen, die durch Partnerschafts- und Handelsabkommen gefördert werden. Zudem nutzt sie Gelder, die der Armutsbekämpfung in Ländern des Globalen Südens zu Gute kommen sollten, um ihre eigenen geopolitischen und strategischen (Rohstoff-) Interessen zu bedienen.

Fallbeispiele

Der Lobito Corridor

El Lobito Corridor ist eine 1.300 km lange Eisenbahnstrecke, die von Lobito an der Atlantikküste von Angola, über die Demokratische Republik Kongo (DRK) bis nach Kabwe in Sambia führt. Ursprünglich von den Kolonialmächten erbaut, wurde die zwischenzeitlich stillgelegte Bahn 2023 von privaten Unternehmen wieder in Betrieb genommen. Sie dient nun dem Transport von strategischen und kritischen Rohstoffen, sowie anderen Produkten in der Lieferkette von bspw. Elektroautos. Diese Route hat entsprechend hohe strategische Bedeutung für die USA und die EU. Daher unterstützten etwa die USA die Räumung jahrzehntealter Minenfelder in Angola.

Um den weiteren Ausbau und die Instandsetzung des Korridors voranzubringen, haben sowohl die EU als auch die USA Partnerschaftsabkommen mit Sambia, der Demokratischen Republik Kongo sowie Angola abgeschlossen. Zudem verhandeln alle drei Länder mit der EU derzeit über sogenannte wirtschaftliche Partnerschaftsabkommen (Economic Partnership Agreements, EPAs). Angola hat zudem im September 2024 ein Abkommen über die Förderung nachhaltiger Investitionen  mit der EU abgeschlossen.

Der Lobito Korridor kann als wichtiger Baustein eines strategischen Versuchs der EU und der USA gesehen werden, Chinas „Belt and Road-Initiative”  in Afrika etwas entgegenzusetzen. Letztere hat jedoch bereits deutlich umfassendere Ausmaße, wodurch schon große Teile der Lieferketten unter chinesischer Kontrolle sind. Außerdem investiert China weit mehr in den Aufbau lokaler Wertschöpfungsketten und nicht nur in den Aufbau von Exportinfrastruktur für Rohstoffe, wofür der Lobito Corridor jedoch exemplarisch steht. Deshalb ist das Projekt bei afrikanischen Beobachtenden grundsätzlich nicht besonders beliebt.

In allen drei Staaten ist unter anderem der Schweizer Metallhändler Trafigura aktiv, der auf besonders intransparente und undemokratische Art große Teile der Infrastruktur von Kobalt- und Kupfer-Minen und den Transport der Rohstoffe finanziert. Er gehört auch zu einem Konsortium weniger Unternehmen, das in die Sanierung des Lobito Korridors bereits 555 Millionen US Dollar investierte. Zudem hat Trafigura eine Konzession zur Nutzung, dem Betrieb und der Instandhaltung des angolanischen Teils der Strecke sowie des Hafen-Terminals in Lobito über 30 Jahre ab 2022. Mit wie viel Geld die EU den Ausbau des Lobito Corridors konkret unterstützen wird und welche europäischen Unternehmen davon profitieren werden, ist bislang unklar. In einem Factsheet der G7 wird jedoch angegeben, dass Alemania private Investitionsprojekte im Rahmen des Lobito Korridors mit Kreditgarantien unterstützt.

Dabei ist dieses massive Infrastrukturprojekt in dieser Region eine durchaus heikle Angelegenheit, denn bereits jetzt sind Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen in den drei Ländern des Lobito Korridors ein Problem.


Angola

In Angola geht die Regierung regelmäßig mit Gewalt gegen Protestierende vor. In den Jahren 2021 und 2023 wurden bei Demonstrationen mehrere Dutzend Menschen durch staatliche Sicherheitskräfte getötet. Willkürliche Verhaftungen, Inhaftierungen und die Unterdrückung der Meinungsfreiheit sind an der Tagesordnung, wobei Demonstrierende und Lokalpolitiker*innen gezielt ins Visier genommen wurden.

Sambia

Auch in Sambia gibt es schwerwiegende violaciones, darunter gewaltsames Vorgehen gegen friedliche Demonstrierende, willkürliche Festnahmen, und Angriffe auf die Medienfreiheit.

Demokratische Republik Kongo

In der DRK herrscht seit 2022 wieder Krieg. Besonders in der Provinz Nord-Kivu, im Osten des Landes, wo viel Bergbau betrieben wird, treiben die anhaltenden Kämpfe große Teile der Bevölkerung in die Flucht. Aktuell sind insgesamt über sechs Millionen Menschen im Kongo vertrieben, und die humanitären Bedingungen in den Flüchtlingslagern verschlechtern sich zunehmend. Frauen und Kinder sind von der Krise besonders betroffen und zahlen laut Beobachtenden den höchsten Preis. Ein Projekt, wie der Lobito Corridor, der die Rohstoffausbeutung in der DRK weiter vorantreibt, läuft Gefahr, die bereits bestehenden Probleme zu vertiefen.

Bild von arbeitenden Frauen in DRK

Frauen sortieren und waschen Mineralien in der Demokratischen Republik Kongo. CC BY-NC 2.0 © Annie Matundu Mbambi / WILPF International 2016

Schon jetzt deckt die DRK 70% des globalen Kobaltbedarfs, ein Metall, das in allen Batterien unerlässlich ist. Ein Großteil der Kobaltvorkommen befindet sich in ökologisch sensiblen Regionen und auf indigenem Land, was Konflikte zwischen Regierungen, ausländischen Unternehmen und lokalen Gemeinschaften auslöst oder verstärkt.

Bild von Bergarbeiter in der Demokratischen Republik Kongo

Bergarbeiter in der Demokratischen Republik Kongo. CC-BY-2.5 © The International Institute for Environment and Development 2020

Ein erheblicher Anteil des Kobalts wird durch informelle Kleinbergleute unter lebensbedrohlichen Bedingungen abgebaut, darunter auch Kinder. Viele dieser Arbeiter*innen sterben durch Einstürze, da Stollen oft ohne Sicherheitsvorkehrungen gegraben werden. Neben den Gefahren für die dort Arbeitenden wird die Umwelt durch Entwaldung, Bodenerosion, Wasserverschmutzung und andere Gesundheitsgefahren erheblich belastet. Zunehmend zerstören Bergbauprojekte ganze Gemeinden und verdrängen die Bewohner*innen, häufig gewaltsam und ohne angemessene Entschädigung.

Ruanda

Zudem verschärfen die Spannungen zwischen der DR Kongo und Ruanda die Lage weiter, da Ruanda vorgeworfen wird, die M23-Rebellen aktiv zu unterstützen. Auch mit Ruanda hat die EU im Rahmen von Global Gateway bereits eine strategische Rohstoffpartnerschaft geschlossen. Da Ruanda selbst aber nur über wenig eigene Rohstoffe verfügt, ist davon auszugehen, dass diese vornehmlich aus den benachbarten Staaten wie dem Kongo über Ruanda nach Europa kommen sollen. Außerdem will sich Ruanda als Standort für die Verarbeitung von Rohstoffen etablieren und sich daher den Zugang zu Ressourcen sichern, über die das Land selbst nicht verfügt.

Wasserstoff-Strategien in Südamerika

In den Strategien zur grünen Transformation Deutschlands y el UE spielt Wasserstoff eine große Rolle. Dieser muss mit erneuerbarem Strom erzeugt werden, um als “grüner Wasserstoff” zu gelten. Dieses Verfahren erfordert sehr viel Energie und Wasser. Einige der strategischen Rohstoffpartnerschaften drehen sich explizit um grünen Wasserstoff. In Zukunft soll eine Wasserstoffwirtschaft in der EU aufgebaut werden, da Wasserstoff zum Beispiel in der Stahlherstellung Kohle und Erdgas ersetzen kann und in der Chemieindustrie für viele Produkte, etwa Düngemittel, gebraucht wird. Die EU geht davon aus, auch künftig einen relevanten Teil ihres Energiebedarfs importieren zu müssen und argumentiert, dass die Bedingungen für die Erzeugung grünen Stroms und Wasserstoffs in den meisten Ländern des Globalen Südens viel günstiger sind als in Europa. Deshalb finanziert sie im Rahmen von Global Gateway Projekte zum Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur in Ländern des Globalen Südens.

Chile

Ein Beispiel ist das Projekt Highly Innovative Fuels (HIF) Global. Dieses wird vom deutschen Wirtschaftsministerium gefördert und nahm 2022 eine Anlage zur Produktion von E-Fuels  im Süden Chiles in Betrieb. Maßgeblich an diesem Projekt beteiligt sind Porsche und Siemens. Gerade bei PKW gibt es jedoch keinen Grund, auf dieses aufwändige und teure Verfahren zu setzen, denn mit einem batteriebetriebenen Fahrzeug kommt man um ein Vielfaches billiger zum Ziel. E-fuels würden den Energiebedarf für den PKW-Verkehr mindestens versechsfachen - und damit auch den Flächenbedarf für die grüne Stromerzeugung.

Bild von 'Haru Oni' eFuels Testanlage

Haru Oni eFuels pilot plant, Punta Arenas, Chile, 2023. Bild: © 2023 Porsche AG

In der windreichen Region Magallanes, in der die Anlage steht, sind zudem 18 weitere grüne Wasserstoff-Projekte geplant, ein Großteil davon unter Beteiligung europäischer Firmen und mit Förderung durch Global Gateway. Auch Unternehmen, die in der Business Advisory Group von Global Gateway sitzen und bereits Konzernklagen gegen Länder des Globalen Südens angestrebt haben, wie Total Energies und Enel, sind mit dabei.

Da für die Realisierung der Projekte große Flächen und viel Wasser benötigt werden, befürchtet die lokale Bevölkerung Verdrängung, schwere Umweltfolgen und den Verlust ihrer wirtschaftlichen Grundlagen, der Schafzucht und der Fischerei. Umweltorganisationen wandten sich bereits Ende 2023 an die Regierung von Gabriel Boric mit der Sorge, dass die Region Magallanes für die Energiewende der Industrieländer geopfert würde.

Vorangetrieben wird die Zusammenarbeit Chiles und der EU in diesem Bereich auch über ein Handelsabkommen mit Energie- und Rohstoffkapitel sowie eine strategische Rohstoffpartnerschaft. In beiden Abkommen wird der Ausbau von Wasserstoffkapazitäten im Land explizit erwähnt. Die Förderung der Projekte im Rahmen von Global Gateway ist insofern nur die logische Konsequenz dieser Weichenstellung.

Uruguay

Auch Uruguay, mit dem die EU 2023 eine Partnerschaft zu erneuerbaren Energien, Energieeffizienz und grünem Wasserstoff abschloss, steht im Fokus der europäischen Global Gateway-Wasserstoffstrategie. Neben weiteren Projekten in Brasilien, Texas und Australien plant HIF Global dort eine große Anlage in Paysandú. Ebenso plant die deutsche Firma Enertrag eine Produktionsanlage für E-Methanol in Tacuarembó. Auch diese ist, neben dem Ausbau des Hafens in Montevideo, als Teil von Global Gateway gelistet und bettet sich mit weiteren Projekten in eine deutsch-uruguayische Energiepartnerschaft von 2023 ein. Das wirtschaftliche Potenzial für Uruguay, im Bereich der erneuerbaren Energien und der Wasserstoffversorgung global eine Rolle zu spielen, wird relativ hoch eingeschätzt, da das Land bereits mehr als 90% seines Stroms aus erneuerbaren Energiequellen produziert.

Doch auch in Uruguay wächst das Konfliktpotenzial dieser Projekte. So klagt die lokale Bevölkerung in Tacuarembó darüber, kaum etwas über das Vorhaben zu wissen, geschweige denn an dessen Ausgestaltung beteiligt worden zu sein. Dies ist besonders schwerwiegend, weil absehbar mit einem sehr hohen Wasserverbrauch durch die Anlage gerechnet wird. Inzwischen gehen die Anwohnenden sogar gerichtlich gegen das Projekt vor.

Grundsätzlich ist die Versorgung mit grünem Wasserstoff für die globale Transformation ein wichtiger Bestandteil. Viele Anwendungsgebiete jedoch, für die Wasserstoff in den entsprechenden Strategien der EU vorgesehen ist, sind entweder selbst hochproblematisch (etwa die Düngemittel- und Pestizidproduktion) oder besser und effizienter direkt mit elektrischem Strom zu erledigen, wie die Wärmeerzeugung oder der Personenverkehr. Die EU nutzt ihr eigenes Potenzial zur Energieeinsparung, Effizienz und Erzeugung von Grünstrom noch nicht annähernd aus.

Weitere Informationen zum Thema “Grüner Wasserstoff” findet ihr auf unserer Infoseite Klimacheck Wasserstoff 

JS Controller – Lobito Globe

Die EU auf Abwegen

Niemanden, nirgendwo zurücklassen, die grüne Transformation inklusiv und partizipativ gestalten und einen entscheidenden Beitrag zum globalen Klimaschutz leisten: Das hat sich die Europäische Kommission vorgenommen. Doch der grüne und demokratische Anstrich der handelspolitischen Instrumente hält einer genaueren Untersuchung nicht stand. Zu groß ist die Lücke, die zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft. Wenn die Europäische Kommission von Teilhabe spricht, meint sie damit vor allem international agierende Unternehmen, die die Speerspitze der europäischen Strategie zur Sicherung von Einfluss und Rohstoffen darstellen. Unter dem Deckmantel der grünen Transformation und vermeintlich nobler Ziele zur Unterstützung einer nachhaltigen und sauberen Entwicklung weltweit, hat die Europäische Kommission ein umfassendes System von Handels-, Investitions- und Partnerschaftsabkommen entwickelt, die Märkte öffnen und Zugang zu Rohstoffen aus Ländern Lateinamerikas, Afrikas und Asiens vereinfachen sollen.

Mit Versprechungen milliardenschwerer Investitionen im Rahmen von Global Gateway macht die EU den Partnerländern die Unterzeichnung entsprechender Abkommen schmackhaft. Nachhaltigkeitsversprechen, Umweltschutz und gute Arbeitsplätze gehören dabei zwar stets zum diskursiven Arsenal, deren konkrete Umsetzung wird aber nicht näher definiert. Stattdessen werden Unternehmen gefördert, die zweifelhafte Menschenrechtsbilanzen vorzuweisen haben, bekannt sind für Umweltzerstörung und Korruption sowie Konzernklagen, die Staaten des globalen Südens um Millionen gebracht haben.

Mit Geldern aus der europäischen Entwicklungszusammenarbeit und geschützt durch handelspolitische Vertragsinstrumente werden ihnen Gewinne in Aussicht gestellt, während die lokale Bevölkerung die Kosten trägt. Die Auswahl und Durchführung der Projekte findet jedoch weitestgehend ohne zivilgesellschaftliche Kontrolle und lokale Teilhabe statt. Zudem schränken die europäischen Handelsabkommen den politischen Entscheidungsspielraum der Partnerländer weiter ein. Und sollten sich Regierungen aufgrund von Umweltbedenken oder Protesten der Bevölkerung gegen ein Projekt entscheiden, drohen millionenschwere Konzernklagen.

Der Pfad zu global gerechten 1,5°

„Eine Welt, die von erneuerbaren Energien angetrieben wird, ist eine Welt, die hungrig nach kritischen Rohstoffen ist. Für Entwicklungsländer sind kritische Rohstoffe eine entscheidende Chance – Arbeitsplätze zu schaffen, die Wirtschaft zu diversifizieren und die Einnahmen erheblich zu steigern. Doch das gelingt nur, wenn sie richtig verwaltet werden. Das Rennen zu Netto-Null darf nicht über die Armen hinwegrollen. Die Revolution der erneuerbaren Energien ist im Gange – aber wir müssen sie in Richtung Gerechtigkeit lenken.“

UN-Generalsekretär António Guterres, 2024

Bild: UN Photo/Evan Schneider

Eine global gerechte Transformation kann nur gelingen, wenn auf Kooperation statt auf mehr Wettbewerb gesetzt wird. Demokratische Teilhabe muss ernst genommen werden und Partnerschaften auf Augenhöhe dürfen nicht nur leere Phrasen bleiben. Handelsabkommen und Investitionsschutzverträge, die die bestehenden Machtstrukturen und Ungleichgewichte verfestigen, sollten der Vergangenheit angehören. Ansonsten laufen europäische Staaten Gefahr, mit ihrer aktuellen Politik koloniale Muster fortzuführen. Tatsächlich sprechen zahlreiche Veröffentlichungen derzeit wahlweise von “Neokolonialismus”, “grünem Kolonialismus oder “Neoimperialismus” im Zusammenhang mit der europäischen Strategie zur Rohstoffsicherung. Für eine global gerechte grüne Transformation brauchen wir stattdessen:

  • Partnerschaftsabkommen, die sich an den tatsächlichen Bedarfen der rohstoffreichen Länder ausrichten, Wertschöpfung in diesen Ländern fördern, Wissens- und Technologietransfer ermöglichen und politischen Handlungsspielraum wahren. Dazu gehört auch, dass rohstoffreiche Länder die Möglichkeit haben müssen, Exportbeschränkungen, Exportsteuern und Abgaben auf Mineralien zu erheben, um lokale Produktion und Produzent*innen zu fördern, Arbeitsplätze vor Ort zu schaffen und aktive Industriepolitik zu betreiben. Die Interessen der Europäischen Union, die derzeit die Ausrichtung von Handels- und Partnerschaftsabkommen prägen, müssen in den Hintergrund rücken. Denn die Wirtschafts- und Entwicklungsmodelle der rohstoffreichen Länder des Globalen Südens orientieren sich nach wie vor vor allem an den Bedarfen der europäischen Industrieländer und ihrer Unternehmen. Ein unabhängiges Wirtschafts- und Entwicklungsmodell kann so nicht gedeihen. Bei der Aushandlung der Partnerschaftsabkommen müssen die Länder des Globalen Südens vom Beifahrer- in den Fahrersitz wechseln.
  • Transparenz sowie eine effektive und verbindliche Einbindung der Zivilgesellschaft und der betroffenen Bevölkerung in die Verhandlungen und Umsetzung dieser Partnerschaften. Rohstoffabbau, aber auch die Installation von Windkraftanlagen und Solaranlagen für die grüne Transformation müssen unter Einhaltung höchster Sozial- und Umweltstandards stattfinden. Diese Projekte dürfen nicht dazu führen, dass die lokale Bevölkerung ihrer Lebensgrundlagen, inklusive des Zugangs zu sauberem Wasser, beraubt wird. Vielmehr muss sichergestellt werden, dass sie spürbar vom Zugang zu sauberer Energie profitiert. Fahrpläne zur Umsetzung von Projekten müssen in diesem Zusammenhang konkrete und messbare Ergebnisse, auch im Hinblick auf gute Arbeitsbedingungen, die ILO-Kernarbeitsnormen, Umweltschutz und Teilhabe, definieren. Ein ständiges Monitoring muss deren Umsetzung sicherstellen.
  • eine Ausweitung der an der grünen Transformation beteiligten Akteure. Die Umsetzung der grünen Transformation darf nicht privaten Akteuren überlassen werden. Öffentliche, kollektive und genossenschaftliche Projekte zur Umsetzung der Energiewende müssen Vorrang vor privaten Unternehmungen und individuellen Gewinninteressen haben.
  • klare Ziele für eine Minderung des Rohstoffverbrauchs in der EU, um den wachsenden Druck von den Ökosystemen der rohstoffreichen Länder zu nehmen und über Maßnahmen der Genügsamkeit (Suffizienz), widerstandsfähiger (resilienter) zu werden. Dazu gehört auch, dass eine Priorisierung stattfinden muss. Denn obwohl die Europäische Kommission stets von dem Bedarf an Rohstoffen für die grüne Transformation spricht, sind Verteidigung, Robotik und Raumfahrt ebenso strategisch zentrale Bereiche, die prioritär versorgt werden sollen. Inwieweit wir die endlichen mineralischen und metallischen Rohstoffe für den Bau weiterer Waffensysteme oder auch elektrisch betriebener SUVs einsetzen wollen, sollte Teil einer umfassenden gesellschaftlichen Debatte sein.

Eine Zusammenfassung der Inhalte dieser Seite sowie eine Infokarte finden Sie in unserem Infoposter:

Einen Vortrag zum Thema können Sie hier nachsehen:

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