Pressemitteilung

Klage gegen deutschen Kohleausstieg könnte Steuerzahlende Millionen kosten

Kohlekraftwerk

Klage gegen deutschen Kohleausstieg könnte Steuerzahlende Millionen kosten

Gemeinsame Pressemitteilung von Alliance Sud, Netzwerk Gerechter Welthandel, PowerShift, Pro Natura, Public Eye, Umweltinstitut München, WWF Schweiz  

19.05.2025: Ein heute von acht Nichtregierungsorganisationen veröffentlichtes Briefing beleuchtet die Hintergründe der Klage Azienda Elettrica Ticinese (AET) gegen den deutschen Kohleausstieg vor einem internationalen Schiedsgericht. Das öffentlich-rechtliche Schweizer Unternehmen verlangt eine Entschädigung von 85.5 Million Euro plus Zinsen für die Abschaltung eines Kohlekraftwerks im nordrhein-westfälischen Lünen, an dem es eine Beteiligung hält. Laut eigenen Angaben hat die AET knapp über 23 Millionen Euro in das Kraftwerksprojekt investiert.

Eine genauere Untersuchung der Klage zeigt:  

  • Das Kohlekraftwerk hat seit seinem Bau jedes Jahr Verluste eingefahren. Die AET verlangt also Entschädigung für eine Anlage, die defizitär war und dies voraussichtlich auch weiterhin bleiben wird.
  • Die AET wurde in einem Volksentscheid dazu verpflichtet, sich von der Beteiligung am Kohlekraftwerk spätestens 2035 zu trennen. Trotzdem möchte sie für hypothetische Einnahmen des Kraftwerks bis ins Jahr 2053 entschädigt werden.
  • Ein Erfolg der AET in dem Verfahren würde die Architektur des deutschen Kohleausstiegs in Frage stellen und könnte zu weiteren Klagen vor Schiedsgerichten durch Kohleunternehmen führen. Neun weitere Kohlekraftwerke in Deutschland haben ausländische Anteilseigner, die bei einem Erfolg AET’s möglicherweise vor einem Schiedsgericht klagen könnten.

 

“Es ist ein Skandal, dass sich ein öffentliches Unternehmen undemokratischer Schiedsgerichte bedient, um gegen notwendige Klimaschutzmaßnahmen vorzugehen. Dass die AET Entschädigungen für ein verlustbringendes Kraftwerk verlangt und damit eine Fehlinvestition vergolden will, treibt das Ganze auf die Spitze,” sagt Fabian Flues, Handelsexperte bei der NGO PowerShift.

“Schon vor dem Bau des Kohlekraftwerks in Lünen war das Fiasko absehbar. Entsprechend deutlich hat der WWF, die AET und den Kanton Tessin vor dieser ökonomisch widersinnigen und klimaschädlichen Kurzschluss-Entscheidung gewarnt. Statt Verantwortung zu übernehmen, schiebt die AET nun Deutschlands Klimapolitik die Schuld für ihr eigenes Versagen zu und fordert Schadenersatz. Dieses Vorgehen ist einer öffentlich-rechtlichen Anstalt unwürdig. Der Kanton Tessin muss diesem Hohn ein Ende machen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen.” sagt Francesco Maggi, Geschäftsleiter WWF Svizzera italiana

“Deutschland hat mit dem Ausstieg aus dem Energiecharta-Vertrag einen wichtigen Schritt getan, aber nicht daraus gelernt. Während Investitionsschutzverträge weiterhin unsere Energiepolitik sabotieren, treibt die Bundesregierung neue Abkommen mit denselben problematischen Schiedsmechanismen voran,” sagt Ludwig Essig, Koordinator des Netzwerks Gerechter Welthandel.

Hintergrund:

Die Schiedsgerichtsklage der AET findet unter dem Energiecharta-Vertrag, einem Investitionsschutz-Vertrag aus den 1990er Jahren, statt. Der ECT ermöglicht es Investoren, vor Schiedsgerichten gegen Energie- und Klimamaßnahmen zu klagen, wenn diese ihre Gewinne einschränken. Kein Investitionsschutzvertrag hat so viele Schiedsgerichtsklagen ermöglicht, wie der ECT. Deutschland, die EU und 10 weitere Länder sind aus dem ECT ausgetreten, weil dieser ihre Handlungsfähigkeit in der Klimakrise zu stark beschneidet. Die Schweiz ist weiterhin Mitglied des ECT. Der ECT verfügt über eine Verfallsklausel, die Klagen über einen Zeitraum von 20 Jahren nach dem Austritt möglich macht. Aus dem ECT austretende Länder können jedoch ein Abkommen abschließen, um Klagen untereinander auszuschließen.

Darüber hinaus ist Deutschland mit den meisten bilateralen Investitionsschutzverträgen weltweit, die bereits 58 Investorenklagen ermöglicht haben. Das deutsche Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat diese Verträge als “in vielen Hinsichten veraltet” bezeichnet. Dennoch gibt es keine Vereinbarungen im neuen Koalitionsvertrag, diese Altlasten anzugehen. Die deutsche Zivilgesellschaft fordert, diese Verträge in Absprache mit den Partnerländern zu kündigen.

Link zum Briefing: https://power-shift.de/briefing-gefaehrlicher-praezedenzfall-schiedsgerichtsklage/

Pressekontakte:

  • Fabian Flues, Leitung Investitionspolitik bei PowerShift e.V., fabian.flues@power-shift.de, +49 (0)30 308 821 92
  • Sebastian Obrist, Mediensprecher Klima & Energie beim WWF Schweiz, sebastian.obrist@wwf.ch, +41 77 417 68 19
Autor*in